Montag, 24. Dezember 2007

Anbeginn einer neuen Ordnung

Von Joschka Fischer

Die alten Modelle der internationalen Politik haben ausgedient. Es entstehen neue Zentren und Abhängigkeiten. Joschka Fischer über einige Annahmen zum 21. Jahrhundert.

Der sich ankündigende Jahreswechsel bringt die üblichen politischen Rückblicke auf das ablaufende Jahr 2007 mit sich. Gerade für das Jahr 2007 aber empfiehlt sich ein etwas anderer Rückblick, der sich nicht in kalendarischer Folge auf die tagesaktuellen Ereignisse und Abläufe bezieht, sondern versucht, die strukturellen Veränderungen in den tieferen Schichten der internationalen Politik und Wirtschaft zu verstehen.

Unter diesem Gesichtspunkt war das Jahr 2007 überaus ertragreich, denn in ihm drängten strukturellen Veränderungen aus den tieferen Schichten der internationalen Entwicklung an deren Oberfläche und formten sichtbar und erfahrbar den politischen Alltag. Eine neue Weltordnung (oder besser Weltunordnung?) wird dadurch sichtbar und harrt der politischen Gestaltung.

In der alten Weltordnung galt die Formel, dass die Globalisierung vor allem zum Vorteil des Westens sein und dessen Vorsprung vor dem Rest der Welt weiter vergrößern würde. Zwanzig Prozent der Menschheit (vor allem im Westen und in Japan zuhause) genossen die Segnungen des Konsumkapitalismus, während 80 Prozent davon ausgeschlossen waren.

Diese Formel aus den siebziger Jahren gilt heute schon lange nicht mehr. Die bipolare Welt des Kalten Krieges ist verschwunden und auch die unipolare Illusion der alleinigen globalen Vorherrschaft der USA von den Jahren von 1989-2005 hat sich im Desaster des Irakkrieges, des gewaltigen amerikanischen Staatsdefizits, der Abwertung des Dollars und der Immobilien- und Bankenkrise verflüchtigt.

Selbst in neokonservativen Kreisen greift nunmehr die Einsicht um sich, dass ein amerikanisches Imperium keine wirkliche Option ist, weil dessen globale Größe selbst die Kräfte der mit Abstand nach wie vor mächtigsten und reichsten Macht der Gegenwart überfordern würde.

Stattdessen wird mehr und mehr sichtbar, dass die globalen Machtachsen von Wirtschaft und Politik sich von West nach Ost verlagern. Einige Beispiele? Der Nuklearkonflikt auf der koreanischen Halbinsel ist ohne das aktive Engagement Chinas heute nicht mehr zu lösen (zu Präsident Clintons Zeiten war das noch völlig anders gewesen). In Afrika ist China heute bereits ökonomisch wie politisch die dominierende Macht und eine nicht mehr zu übersehende Alternative zum Westen. So ist etwa der Konflikt um Darfur im Sudan ohne China und Indien, den beiden wichtigsten Investoren in die sudanesische Ölindustrie, nicht mehr zu lösen.

Indien ist nicht nur auf dem Subkontinent, sondern zunehmend auch in Afghanistan, Iran, Zentralasien und wird übermorgen am Persischen Golf zu einem unverzichtbaren und in nicht allzu ferner Zukunft zu dem dominanten politischen Spieler.

Die Energie- und Rohstoffmärkte verlagern sich ebenfalls von West nach Ost und die anhaltend steigenden Preise signalisieren diese Veränderung. Deutschland wird im kommenden oder übernächsten Jahr endgültig und wohl für immer seine Position als globale Exportmacht Nummer 1 verlieren. Ökonomisch löst China Japan als größter Gläubiger der USA ab, während zugleich der amerikanische Markt für das chinesische Wachstum der entscheidende Motor ist.

Hätte man vor fünfzehn Jahren diese gegenseitige Abhängigkeit der kapitalistischen Supermacht USA von der kommunistischen Führungsmacht China prophezeit, so wäre man schlicht ausgelacht worden. Heute ist diese unmögliche Abhängigkeit aber zur Realität geworden, und es lacht niemand mehr.

Auch die Debatte über den Klimaschutz hat diese neue Abhängigkeit in einer globalisierten Welt sichtbar gemacht. Das globale Wachstum von tendenziell sieben Milliarden Menschen droht zu einer Überforderung des Ökosystems Erde zu führen. Militärische und wirtschaftliche Macht zählen angesichts dieser Bedrohung wenig bis gar nichts, wenn es nicht gelingt, die Mehrheit der Staaten von einer aktiven Klimaschutzpolitik zu überzeugen und Wege zu finden, dass sie sich aktiv daran beteiligen. Dies wird aber einen kooperativen Interessenausgleich unverzichtbar machen.

Misslingt dieser, so werden die Folgen global massiv zu spüren sein. Mag sein, dass die Reichen und Mächtigen sich dann noch eine gewisse Schonfrist erkaufen können, aber innerhalb kurzer Zeit werden die Folgen globaler Klimaveränderungen alle treffen.

Und auch die Entwicklung des Terrorismus zeigt, dass es in einer globalisierten Welt kein „weit weg“ mehr gibt. Sicherheit im 21. Jahrhundert wird anders definiert werden, als in den Epochen davor. Sicherheit wird fortan sehr viel stärker von Entwicklung, der Herrschaft des Rechts, der Beachtung der Menschenrechte, funktionierender Wirtschaft und staatlichen Institutionen, von Freiheit und einer starken Zivilgesellschaft abhängen, als von den Rüstungsausgaben. Kooperation statt Dominanz wird auch in der Sicherheitspolitik mehr und mehr zum Prinzip werden müssen, wenn man Erfolge erzielen will.

Sicherheit wird zwar heute im Verhalten der Staaten zueinander noch immer im Wesentlichen auf der Grundlage ihrer Interessen und ihrer Macht definiert. Das „Gleichgewicht der Mächte“ gilt heute, nach dem Ende der „unipolaren Phase,“ wieder mehr denn je. Dennoch ist dieses Prinzip historisch erschöpft und für die Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts und seiner globalen Abhängigkeiten nicht mehr tauglich. Die USA unter der Regierung Bush haben dies exemplarisch und mit fatalen Folgen für ihre eigenen Interessen demonstriert. Dieser Widerspruch ist eine der Hauptursachen für die gegenwärtige Schwäche des internationalen Systems und seiner Institutionen.

Der Satz des früheren britischen Premierministers Palmerston, dass Staaten keine dauerhaften Freunde oder Feinde hätten, wohl aber dauerhafte Interessen, reicht unter den Bedingungen der Globalisierung eben nicht mehr aus. Mehr und mehr wird dieser Satz von der Tatsache überlagert, dass Staaten zudem dauerhafte gemeinsame Interessen haben, das heißt ihre jeweiligen nationalen Interessen nur noch in Abhängigkeit von anderen und im Konsens mit anderen verwirklichen können.

Damit transformiert sich aber der klassische Begriff staatlicher Souveränität in eine transnationale Dimension, die objektiv einen Zwang zur Kooperation nach sich zieht. Auf diesem sich in der Gegenwart herausbildenden neuen Grundprinzip wird die neue internationale Ordnung entstehen.

Wie lange es allerdings dauern und wie viele Krisen, ja Katastrophen es brauchen wird, bis diese objektiven Veränderungen im internationalen System auch subjektiv und institutionell nachvollzogen werden, kann man nicht vorhersagen. Man kann sich lediglich an gemachten Erfahrungen orientieren.

Als das alte Europa mit den ersten Schüssen des I. Weltkriegs unterging, da dauerte es schließlich bis 1989, ja genauer sogar bis 1999, bis zum Ende des Kosovokrieges, bis sich in Europa mit Ausnahme Weißrusslands ein dauerhafter Frieden, die Herrschaft des Rechts, Demokratie und Freiheit durchgesetzt hatten. Nur welch einen furchtbaren Preis hatten die Europäer im 20. Jahrhundert dafür zu entrichten! Man kann nur hoffen, dass das 21. Jahrhundert sich als klüger erweisen wird, auch wenn wenig dafür spricht, dass sowohl Menschen wie auch Staaten und Gesellschaften jemals aus Schaden klug geworden sind.

Montag, 17. Dezember 2007

Der faule Kompromiss

Von Joschka Fischer

Wie geht es weiter nach Bali? Leider erst einmal wie gehabt

Erinnern Sie sich noch, verehrte Leserinnen und Leser, an den vergangenen Juni? An den G8-Gipfel in Heiligendamm? Ein bedeutender Beschluss zum Klimaschutz sei dort von den acht wichtigsten Industrieländern gefasst worden, so wurde damals amtlicherseits verlautbart. Und worin bestand nun dieser bedeutende Beschluss? Richtig, die dort versammelten acht Staaten versprachen, eine Halbierung der weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 „ernsthaft zu prüfen. “ Bedeutend war zwar nichts an diesem Beschluss gewesen, denn er hieß, in deutsche Alltagssprache übersetzt, nichts anderes als Vertagung, war also ein fauler Kompromiss. Aber mehr war mit den amerikanischen Gästen offensichtlich nicht drin.

Bereits in Heiligendamm war allen Kundigen klar, dass die erste wirkliche Weichenstellung nicht an den Gestaden der Ostsee, sondern auf der UN-Klimakonferenz in Bali im Dezember dieses Jahres stattfinden würde. Und die auf dem G8-Gipfel zutage getretene Blockadehaltung der USA legte zudem die Erwartung nahe, dass ohne ein erneutes transzendentes Erweckungserlebnis von Präsident George W. Bush die Konferenz von Bali an derselben Hürde scheitern könnte.

Ein offenkundiges Scheitern in Bali wurde nun in der Verlängerungszeit des UN-Klimagipfels in sprichwörtlich letzter Sekunde verhindert, und heraus kam ein Fahrplan für das weitere Vorgehen der Weltgemeinschaft, nicht mehr und nicht weniger. Bis 2009 sollen die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen von Kyoto zum internationalen Klimaschutz abgeschlossen werden, sodass es dann in den folgenden drei Jahren, bis zum Auslaufen von Kyoto im Jahr 2012, weltweit ratifiziert werden und in Kraft treten kann.

Was aber ist dieser Kompromiss von Bali nun tatsächlich wert? Wenn es nur um einen Fahrplan ging, warum dann die entnervenden Blockaden auf dieser Konferenz? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ging eben nicht nur um einen Fahrplan bis 2009, sondern bereits massiv um die Richtung und die Geschwindigkeit des internationalen Klimazuges. Davon ist in dem Dokument von Bali allerdings nicht mehr viel zu finden, denn hier haben sich die Bremser fast vollständig durchgesetzt. Unter dem Gesichtspunkt der Substanz des Dokuments erinnert es doch allzu sehr an Heiligendamm, an eine Vertagung also und damit erneut an einen faulen Kompromiss.

Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass der Klimaschutz nur global funktionieren wird, wenn sich also alle Nationen daran beteiligen, an erster Stelle die wichtigsten Klimaverschmutzer. Darüber hinaus droht dem Klimaschutz die Zeit davonzulaufen. Der Zeitfaktor wird auf Grund des hohen Wirtschaftswachstums in China, Indien und anderer großer Schwellenländer und der jahrzehntelangen, in manchen Fällen bis heute anhaltenden Untätigkeit der alten Industriestaaten zu einem immer dramatischeren Problem.

Zehn bis fünfzehn Jahren geben die Klimatologen der Weltgemeinschaft noch, wenn die von Menschen verursachten Klimaveränderungen zumindest begrenzt werden sollen. Allerdings gilt dies nur dann, wenn bis 2015 der Höhepunkt der Emissionen von Treibhausgasen überschritten sein wird. Darüber hinaus muss, so liest man es in den Berichten des UN-Klimarates, bis Mitte des Jahrhunderts der globale Ausstoß von Klimagasen gegenüber dem Stand von 1990 mehr als halbiert werden. Andernfalls, so sagen es die internationalen Klimaforscher, könnte der Punkt erreicht werden, der ein Zurück nicht mehr zulässt.

Und insofern ist das Ziel, die globalen CO2-Emissionen der großen Industriestaaten bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, eher ein absolutes Muss als ein ambitioniertes Maximalziel. (Die EU hat sich zwar auf dieses Ziel während der deutschen Ratspräsidentschaft politisch verpflichtet, aber seine konkrete Ausfüllung durch die EU- Kommission als auch seine Annahme durch die Mitgliedsstaaten sind bis heute nicht mehr als ein Versprechen.)

Liest man angesichts dieser Fakten den vor wenigen Wochen veröffentlichten „World Energy Outlook 2007“ der Internationalen Energieagentur (IEA), so kann einen die Lektüre in tiefe Depressionen stürzen. Allein Chinas Primärenergiebedarf droht sich, entsprechend dem Referenzszenario der Agentur, zwischen 2005 und 2030 mehr als zu verdoppeln. Die Fahrzeugflotte Chinas soll im selben Zeitraum auf das Siebenfache von heute anwachsen und fast 270 Millionen Automobile erreichen. Es verwundert daher nicht, dass die Energieagentur in ihrem Referenzszenario davon ausgeht, dass die globalen CO2 Emissionen zwischen 2005-2030 um 57 Prozent zunehmen werden. Die USA, China, Indien und Russland sollen dabei für zwei Drittel des Anstiegs verantwortlich sein.

Im Lichte dieser Faktenlage kann sich die Staatengemeinschaft eine Politik der Untätigkeit, des Abwarten und oder gar eines schlichten „Weiter so!“ bereits heute nicht mehr erlauben – und dennoch bestimmt dieses unverantwortliche Verhalten nach wie vor die internationale Klimaschutzagenda, siehe Bali.

Denn verbindliche Reduktionsziele und Termine wurden dort erneut durch eine Koalition der Unwilligen, angeführt von den USA, verhindert. „Tiefe Einschnitte bei den globalen Emissionen“ werden zwar im so genannten „Bali Aktionsplan“ gefordert. Aber konkreter wird der Aktionsplan dann nicht. Zwar nimmt man in dem Konferenzdokument in einer Fußnote auf den Bericht des UN-Klimarates Bezug und somit indirekt auf dessen konkrete Vorgaben. Aber das war es dann auch schon, und damit kann jeder den Text nach seinem Belieben interpretieren. Fehlanzeige also.

Im Klartext hat Bali in der Hauptsache, nämlich dass sich die wichtigsten Verschmutzerstaaten endlich konkret und praktisch in die Pflicht nehmen lassen, erneut nichts anderes gebracht als eine weitere Vertagung.

„Auf Wiedersehen in Kopenhagen 2009“ heißt die eigentliche Botschaft von Bali. Dort sollen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Zudem wird dann in den USA eine andere Regierung im Amt sein, und vielleicht ändern sich ja dann die Dinge wirklich. Freilich sollte man gerade angesichts dieser Hoffnungen nicht vergessen, woran der Vertrag von Kyoto letztlich gescheitert ist. Ein solcher Vertrag muss durch den US-Senat ratifiziert werden, damit er in Kraft treten kann. Das hat schon einmal nicht funktioniert.

Bis Kopenhagen 2009 werden dann drei weitere Jahre ins Land gegangen sein, in denen es zu einem gewaltigen Anstieg der politischen Verbalemissionen kommen wird, die globalen CO2 Emissionen in der wirklichen Welt aber erneut zu- und nicht abgenommen haben werden. Und vielleicht geschieht ja in der Zwischenzeit auch etwas, was es in der Politik eigentlich nicht gibt, nämlich ein kleines Wunder. Denn, so muss man auf Grund der bisherigen Erfahrungen befürchten, der Klimaschutz wird wohl ohne den direkten Eingriff höherer Mächte kaum wirklich vorankommen.

Mit Joschka Fischers Kolumne beginnt jeden Montag um 9:00 die politische Woche auf ZEIT online.

Montag, 10. Dezember 2007

Nach dem Knall

Aufatmen wegen des US-Geheimdienstberichts über Iran? Zunächst ja - aber die eigentliche Gefahr ist noch nicht gebannt

Von Joschka Fischer


Eines muss man der amerikanischen Regierung unter Präsident Bush zugestehen: Sie schafft es immer wieder, selbst die pessimistischsten Erwartungen ihrer Kritiker zu übertreffen. Die vergangenen Tage haben jene scheinbar unerschöpfliche Chaoskreativität von George W. Bush erneut unter Beweis gestellt.

Mit der Konferenz von Annapolis schien endlich ein erster Schritt in die richtige Richtung versucht worden zu sein, nämlich eine amerikanische Regionalpolitik für den Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln, die nicht mehr ausschließlich auf Kriege zu setzen schien. Eine Friedensinitiative für den Nahostkonflikt, der Versuch einer diplomatischen Isolierung Irans in der Region, die Einbeziehung Syriens in diese neue Regionalpolitik – all diese Faktoren signalisierten die seit Langem erwartete Änderung der amerikanischen Politik. Welch ein Trugschluss!

Denn in der abgelaufenen Woche detonierte in der amerikanischen Hauptstadt Washington eine politische Bombe. Die versammelten Geheimdienste der USA veröffentlichten einen neuen Befund über das Atomwaffenprogramm Irans und kamen zu der Auffassung, dass Iran erstens sein Atomwaffenprogramm bereits 2003 eingestellt habe. Zweitens spreche sehr viel dafür, dass dieses Programm auch seitdem nicht wieder aufgenommen worden wurde. Drittens sei allerdings nicht anzunehmen, dass dieses Programm dauerhaft beendet worden wäre, sondern sich Iran die Option einer Wiederaufnahme offenhielte. Und viertens diplomatischer Druck von außen auf die Regierung in Teheran gewirkt hätte.

Die Wirkungen dieser politischen Detonation müssen nun besichtigt werden. Und in die Freude über eine gewisse Unterbrechung des Säbelrasselns mischt sich neuerliche Sorge - insbesondere aufgrund der Politik Teherans.

Um die nunmehr eingetretene Lage beurteilen zu können, muss der Zusammenhang betrachtet werden, in dem das „New Intelligence Estimate“ genannte Dokument veröffentlicht wurde. Ironischerweise lautet sein Kürzel NIE, was in diesem Fall in der deutschen Sprache einen ganz besonders Sinn zu tragen scheint. Hatte Amerikas Präsident nicht eben erst noch öffentlich vom Vierten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Gefahr iranischer Atomwaffen geredet? Waren im vergangenen Jahr nicht zusätzliche Flugzeugträger mit dem Hinweis auf die iranische Gefahr in den Persischen Golf verlegt worden? Und hatte der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney nicht seit Monaten, im Verein mit den meisten der republikanischen Präsidentschaftskandidaten, unablässig wegen Irans Nuklearprogramm die Kriegstrommel gerührt?

Die Verhältnisse schienen durch den neuen Befund der amerikanischen Geheimdienste auf den Kopf (oder vom Kopf auf die Füße?) gestellt worden zu sein.

George W. Bush stand plötzlich durch die eigenen Geheimdienste öffentlich blamiert da, während der iranische Präsident Ahmandineschad feixend einen „Sieg“ für Iran reklamierte.

Seit mehr als einem Jahr war Washington voll mit Gerüchten über einen möglichen Luftschlag der USA gegen die iranischen Atomanlagen, gegen die Luftabwehr, die Revolutionsgarden und andere militärische Ziele. Die interne Debatte über eine sogenannte „militärische Option“ hatte allerdings bereits sehr viel früher eingesetzt. Dabei war vom Beginn an klar, dass die USA zwar einen weiteren Krieg in der Region jederzeit beginnen, ihn aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden konventionellen militärischen Mitteln erneut nicht gewinnen konnten.

Zudem gab es niemals eine militärische Garantie, dass die nukleare „Ausbruchskapazität“ Irans, also solche Atomanlagen, die sich militärisch umwidmen ließen, allein aus der Luft und mit Spezialkräften am Boden hätten zerstört werden können. Mit einem solchen Militärschlag würden die USA zudem eine Eskalationsdynamik auslösen, die dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kaum noch zu kontrollieren sein würde.

Legte man daher all diesen abenteuerlichen Spekulationen eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, so musste man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass die sogenannte „militärische Option“ realistischer Weise überhaupt nicht bestand, sondern dass es zu dem doppelten Weg von UN-Sanktionen und -Verhandlungen eigentlich keine echte Alternative gab. Dennoch rührten Bush und Cheney und ihre neokonservative Gefolgschaft unentwegt die Kriegstrommeln. Und ganz offensichtlich war die Sorge im Militär und in den Geheimdiensten über einen möglichen Militärschlag gegen Iran noch vor Ablauf der Amtszeit von Präsident Bush so groß, dass es jetzt dagegen fast zur offenen Revolte kam.

Zuerst hatten sich die ranghöchsten Militärs der USA öffentlich gegen die politische Führung bis jenseits der Grenze des direkten Widerspruchs geäußert. Und nunmehr folgten noch weitaus deutlicher die amerikanischen Geheimdienste. Ganz offensichtlich gibt es in Militär und Geheimdiensten keinerlei Bedarf an einem zweiten, absehbar noch sehr viel desaströseren Abenteuer als im Irak. Und auch die politischen Spitzen im Verteidigungs- und Außenministerium hatten sich gegen eine Militäraktion positioniert.

Betrachtet man aus dieser Perspektive die jetzt eingetretene Situation, so könnte man frohen Herzens konstatieren: So weit, so gut. Aber leider liegen die Dinge nicht so einfach.

Die ideologiegetriebene Kriegsrhetorik von Präsident Bush und seinem Vizepräsidenten hat die iranische Regierung völlig unverdient in eine Situation gebracht, in der ihre politischen Absichten wie auch das von ihr betriebene Atomprogramm einer breiteren Öffentlichkeit als friedlich, ja sogar nachgerade als harmlos erscheinen. Dies ist jedoch mitnichten der Fall.

Es ist schon der Ausweis einer gehobenen Staatskunst der Extraklasse, wenn man mit der Erkenntnis, dass Iran bis 2003 über ein direktes Nuklearwaffenprogramm verfügt hatte, derart in die Defensive geraten kann, wie das für die Regierung Bush jetzt der Fall ist. Iran hat ein solches Programm immer bestritten! Ohne die verantwortungslose Kriegsrhetorik des Weißen Hauses hätte diese, offensichtlich auf gewichtigen neuen Erkenntnissen gründende Enthüllung der amerikanischen Dienste erstens massiv die Begründung des Misstrauens des UN-Sicherheitsrats und der internationalen Gemeinschaft verstärkt. Und zweitens wäre Iran unter einen gewaltigen Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck geraten, und dies völlig zu Recht.

Denn im Konflikt mit Iran um sein Nuklearprogramm geht es genau um das gleichermaßen massive wie berechtigte Misstrauen gegen die Absichten Irans, die das Land mit seinem Nuklearprogramm verfolgt. Jenseits eines direkten Nuklearwaffenprogramms, was einen schweren Verstoß Irans gegen seine Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags darstellen würde, stellt sich die Frage, zu welchem Zweck Iran sowohl die Urananreicherung als auch einen Schwerwasserreaktor (der direkte Weg zur Produktion von waffenfähigem Plutonium) braucht.

Iran verfügt lediglich über ein von Russland fast fertiggestelltes Atomkraftwerk in Busheer am Persischen Golf. Allerdings wird dieses AKW nur ans Netz gehen, wenn Iran dafür exklusiv russische Brennelemente einsetzt und die abgebrannten Brennelemente wieder an Russland zurückgibt. Ansonsten hat Iran für die Dauer von mindestens einem Jahrzehnt schlicht keinen Bedarf für eine eigene Brennelementeproduktion.

Die Behauptung, dass Iran in den nächsten zehn Jahren zum Zwecke der Stromerzeugung massiv seine nuklearen Reaktorkapazitäten ausbauen will (Iran verfügt über die weltweit zweitgrößten Erdgasreserven und sehr große Ölreserven!), wirkt angesichts der Fakten alles andere als überzeugend. Zudem hat Iran das europäische Angebot zur Lieferung modernster Leichtwasserreaktoren abgelehnt, was die Glaubwürdigkeit der Erklärungen der iranischen Regierung noch weiter untergrub.

Der Ausbau der Urananreicherung und die Errichtung eines Schwerwasserreaktors ergibt angesichts der iranischen Faktenlage nur dann Sinn, wenn man sowohl den Uran- als auch Plutoniumpfad bis an die Schwelle der Nuklearwaffenfähigkeit gehen will, was unter den Regeln des Atomwaffensperrvertrags sogar erlaubt ist. Dann allerdings wäre Iran nur noch eine politische Entscheidung vom Status einer Nuklearmacht entfernt.

Iran hat das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Der Konflikt mit Teheran geht nicht um dieses Recht, sondern um den Mangel an Vertrauen in die Absichten der Teheraner Regierung und die Glaubwürdigkeit ihrer Erklärungen. Und damit ist es angesichts der Existenz eines Atomwaffenprogramms bis 2003, des Verhaltens Irans in der Vergangenheit und des Designs seines aktuellen, öffentlich bekannten Nuklearprogramms nicht sehr weit her.

Wenn einer möglichen Militäraktion der USA fürs Erste die Grundlage entzogen wurde, so ist das eine gute Nachricht. Für eine Entwarnung im Nuklearkonflikt mit Iran besteht aber tatsächlich kein Anlass. Denn wenn Iran mit seinem bekannten Nuklearprogramm fortfährt, dann besteht das Risiko uneingeschränkt fort, dass allein die Möglichkeit, dass der Iran eine militärische Nuklearmacht werden könnte, die gesamte Region in einen nuklearen Rüstungswettlauf unter den Regionalmächten treiben wird. Ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen und Mittleren Osten, dieser ohnehin unsicheren Region, ist allerdings ein sicherheitspolitischer Albtraum. Würde er Wirklichkeit, dann veränderte sich auch die Sicherheitslage Europas grundsätzlich.

Wenn die rhetorische Scharfmacherei der US-Regierung in der Vergangenheit jetzt dazu führen sollte, dass Iran international neue Legitimation für sein Atomprogramm zuwächst und die diplomatischen Sanktionsbemühungen des UN-Sicherheitsrats dadurch geschwächt würden, so wäre das überaus fatal.

Denn zu den diplomatischen Anstrengungen, mittels Sanktionen der UN die Regierung in Teheran zu einer Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde zu zwingen und eine Verhandlungslösung auf der Grundlage umfassender und voller Transparenz zu erreichen, gibt es nur schlechtere und vor allem gefährlichere Alternativen.

Nach dem Desaster von Washington wird allerdings kein Weg mehr daran vorbeiführen, dass die USA sich von der Illusion eines von außen herbeigeführten Regierungssturzes verabschieden und direkte Gespräche mit Teheran über alle wichtigen Fragen beginnen – Atomprogramm, Irak, Nahost, regionale Sicherheit und Menschenrechte.

Die Ebene der Botschafter im Irak, die erste Gespräche über die Lage im Land geführt haben, wird dazu allerdings nicht ausreichend sein. Diese direkten Gespräche zwischen Washington und Teheran müssen von den Außenministern begonnen werden. Ob sie noch zur Amtszeit von Condoleezza Rice stattfinden werden oder erst nach dem Regierungswechsel in Washington in mehr als einem Jahr, bleibt eine offene Frage. Die Antwort sollte lauten: Je schneller, desto besser.

Dienstag, 4. Dezember 2007

Wird Teheran isoliert?

Von Joschka Fischer

Die Konferenz von Annapolis hatte durchaus ein Ergebnis: Nicht für den Nahostkonflikt, aber für den großen Regionalkonflikt mit Iran

Ein Berg war es nicht gewesen, der da in der letzten Woche in der Stadt an der Küste Marylands gekreißt hat. Und man wird wohl noch einige Zeit abwarten müssen, bis man wissen wird, ob dort lediglich eine Maus von nahöstlichem Friedensprozess geboren wurde oder tatsächlich mehr.

Was die eigentliche Sache der Konferenz betraf, nämlich den Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern, so wurden die Pessimisten eher bestätigt als widerlegt. Die Konfliktparteien konnten sich nicht einmal auf ein Dokument einigen, geschweige denn auf gemeinsame Grundsätze, die mehr enthielten als die äußerst vage gehaltene Vision einer Zwei-Staaten-Lösung.

Stattdessen trug der Gastgeber der Konferenz, der amerikanische Präsident Bush, mit dem Einverständnis der beiden Parteien eine kurze Erklärung vor. Darin wurde ein Verhandlungsprozess mit dem Ziel eines israelisch-palästinensischen Friedensvertrags verabredet. Die USA werden diesen Prozess beaufsichtigen. Die Verhandlungen sollen am 12. Dezember beginnen und noch vor Ablauf des Jahres 2008 beendet werden.

Angesichts der Schwierigkeit der zu verhandelnden Fragen verwundert das karge Ergebnis der Konferenz keineswegs. Es allein wäre daher auch kein ausreichender Grund für Pessimismus - wenn nicht in Annapolis die politische Schwäche der beteiligten drei Hauptakteure so offensichtlich zutage getreten wäre.

Israel geht es im Kern um Sicherheit. Den Palästinensern um den Abbau der israelischen Siedlungen, das Ende der Besatzung und um einen eigenen, lebensfähigen Staat in den Grenzen vom 5. Juni 1967, unter Einschluss von Ostjerusalem. Die Tragik liegt nun genau darin, dass niemand dem israelischen Premierminister Olmert zutraut, Zusagen über Siedlungen und Land auch erfüllen zu können. Und fast noch weniger traut man dem Palästinenserpräsidenten Abbas zu, Sicherheitsversprechen an Israel garantieren zu können. Und damit fehlt auch weiterhin auf beiden Seiten ein ganz entscheidendes Element für einen ernsthaften Friedensprozess, nämlich die Hoffnung.

Sehr viel interessanter hingegen sind die Ergebnisse der Konferenz, wenn man ihre Bedeutung für die Gesamtregion betrachtet. Mit ihr hat nämlich der bisher zentrale Regionalkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern an Bedeutung verloren. Er ist nicht länger der Zentralkonflikt. Die Rolle des regionalen Zentralkonflikts wurde stattdessen von dem Konflikt um die Vorherrschaft in der Region zwischen Iran und den gemäßigten arabischen Staaten, vorneweg Saudi-Arabien, übernommen.

Die gegenwärtigen Schlachtfelder dieses Hegemonialkonflikts sind heute noch der Libanon und der Irak, aber die eigentliche Krise wird um die Vorherrschaft am Persischen Golf stattfinden. Der regionale Zentralkonflikt hat sich dorthin verlagert.

Mehr noch: In Annapolis hatte sich unter der Führung der USA zum ersten Mal eine antiiranische Koalition aus den arabischen Staaten und Israel offen zusammengefunden. Der vordergründige Anlass war zwar der Friedensprozess im Nahen Osten, aber das Wesen der Sache war jenes antihegemoniale Bündnis gegen Iran. Insofern war Annapolis vor allem eine diplomatische „show of force“ gegenüber dem Iran.

Gerade deswegen könnte die Teilnahme Syriens von überaus großer Bedeutung gewesen sein, denn dieses Land ist der letzte regionale Alliierte des Iran.

Falls die Einladung Syriens nur ein taktisches Nachgeben der US-Regierung gewesen sein sollte, um Saudi-Arabien an den Konferenztisch zu bekommen, kann man die Sache vergessen. Sollte die Einladung an Damaskus allerdings ein Angebot gewesen sein, Syrien sowohl ernsthaft in den Friedensprozess einzubeziehen als auch darüber hinaus strategisch ins arabisch-westliche Lager zu holen, dann würde Annapolis den Beginn einer völlig neuen Regionalpolitik der USA im Nahen Osten bedeuten.

Eine solche neue Regionalpolitik der USA wäre allerdings lediglich ein halber Schritt, der zudem in eine fatal falsche und gefährliche Richtung führen würde, wenn er die diplomatischen Voraussetzungen für einen militärischen Angriff schaffen sollte.

Eine regionale Isolierungsstrategie gegenüber Iran ergibt nur dann Sinn, wenn sie zugleich von der Vorbereitung eines ernsthaften Gesprächsangebots Washingtons an Teheran über alle wichtigen Fragen – Nuklearprogramm, Irak, Nahostkonflikt, Sicherheit am Golf und in der gesamten Region, volle Normalisierung der Beziehungen – begleitet wird. Genau darauf sollten die europäischen Regierungen jetzt energisch drängen.

Die Konsequenzen wären eine Friedenslösung im Nahostkonflikt, eine Stabilisierung des Iraks und schließlich ein regionales Sicherheitssystem, das den legitimen Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten Rechnung tragen, einen nuklearen Rüstungswettlauf im Nahen Osten verhindern und der Region genügend Stabilität garantieren würde, damit sie einen Prozess der graduellen Modernisierung einschlagen könnte.

Was Annapolis also wirklich gebracht hat und wie es schließlich politisch einzuordnen sein wird, werden erst die kommenden Monate zeigen. Eines ist jedoch bereits heute absehbar: Die Fortschritte im nahöstlichen Friedensprozess werden nicht im Vordergrund stehen, sondern durch die sich aufbauende Konfrontation mit Iran verdrängt werden.

Hat die Konferenz von Annapolis also der Vorbereitung einer militärischen Konfrontation mit Iran gedient? Oder wird sie den Beginn einer neuen Regionalpolitik der USA markieren, die Iran politisch und ökonomisch isoliert? Spätestens im nächsten Frühjahr werden wir die Antwort wissen.

Montag, 26. November 2007

Ein Frieden der Schwachen?

Von Joschka Fischer

Nahost-Konferenz in Annapolis: Entweder wird ein gefährdeter Kompromiss gefunden, oder das Verhängnis schreitet fort

Die Einladungen sind vor einigen Tagen versandt worden. Und so wird am Dienstag dieser Woche in Annapolis, ganz in der Nähe der Hauptstadt der USA, eine Nahostkonferenz zusammentreten. Über vierzig Regierungen und internationale Organisationen sind dazu eingeladen. Präsident George W. Bush versucht mit dieser Initiative in seinem letzten Amtsjahr eine Lösung jenes gleichermaßen alten wie gefährlichen Konflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, vor allem aber mit den Palästinensern.

Mit der nur wenige Tage dauernden Konferenz von Annapolis soll (wenn es gut läuft, was alles andere gesichert ist) ein Ausweg aus dem Treibsand des Nahostkonflikts gefunden und dann gegangen werden. Die Verhandlungen für eine Endstatusvereinbarung - und nur sie allein kann die Voraussetzungen für den Übergang von einem Jahrzehnte anhaltenden heißen Krieg zu einem kalten Frieden zwischen den Konfliktparteien schaffen – werden danach allerdings sehr viel mehr Zeit beanspruchen.

Sollte Annapolis allerdings direkt oder indirekt scheitern, also ergebnislos auseinander gehen oder nur in leeren Versprechungen enden, so wird sich der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verschärfen und die Konfrontation verstärken. Denn durch ein negatives Ergebnis würden diejenigen auf beiden Seiten gestärkt, welche die Konfrontation fortsetzen und verschärfen wollen.

In den Verhandlungen in Annapolis geht es um die Einleitung von Endstatusverhandlungen, also um eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina, welche den Krieg zweier Völker um dasselbe Land durch einen historischen Kompromiss endlich beenden soll. Diese Verhandlungen werden sich vor allem auf die Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates konzentrieren, auf seine Grenzen und Institutionen, auf die israelischen Siedlungen, auf Sicherheit für beide Seiten, auf Jerusalem und seine heiligen Stätten, auf das Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge und auf die Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten.

Genau an diesem Punkt der Verhandlungen standen die USA bereits schon einmal. Sieben Jahre sind inzwischen vergangen und politisch auch vertan worden, seitdem ein anderer amerikanischer Präsident, Bill Clinton, ebenfalls in seinem letzten Amtsjahr, ernsthaft versucht hatte, mit der ganzen Macht der USA diesen Konflikt zu beenden. Leider war Clintons Initiative in Camp David an der Unnachgiebigkeit der Konfliktparteien – vorneweg Yassir Arafats - und an der unzureichenden amerikanischen Vorbereitung dieser Konferenz gescheitert.

Präsident Clinton lief damals die Zeit davon, und der von Anfang an begrenzte Zeithorizont wird auch diesmal eines der großen Probleme der Regierung Bush sein. Es bleibt zu hoffen, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Präsident Bush dessen Fehler aus dem Jahre 2000 nicht wiederholen und stattdessen dessen Initiative bruchlos fortsetzen wird.

Eine hypothetische Frage sei angesichts der nun beginnenden Nahostkonferenz erlaubt: Wo stünde der Nahe Osten heute, wenn George W. Bush die Initiative Bill Clintons fortgeführt oder zumindest nach dem 11. September 2001 und nach Afghanistan wieder aufgenommen hätte? Wenn er also, statt den fatalen Fehler eines Einmarsches in den Irak zu begehen, seine ganze Kraft auf einen schwierigen Kompromiss im Nahostkonflikt konzentriert hätte? Die Lage im Nahen Osten wäre heute ohne jeden Zweifel unvergleichlich besser und der Westen sicherer.

Stattdessen hängen die USA im Irak militärisch fest. Sie können dort weder gehen noch bleiben, jede Option erweist sich als falsch. Und diese Politik hat zudem Iran in eine regionale Position der Stärke geschoben, die das Land aus eigener Kraft niemals hätte erreichen können.

Der Weg nach Jerusalem führe über Bagdad, lautete damals das Dogma der Regierung Bush und bis heute der Neokonservativen innerhalb und außerhalb der Regierung. Erst das offensichtliche Scheitern dieser realitätsblinden Strategie machte dann sehr spät den Weg für einen (ganzen oder lediglich halben?) Strategiewechsel frei. Wie ernsthaft dieser Strategiewechsel tatsächlich angelegt ist, werden aber erst die kommenden Monate zeigen. Denn anders als zur Zeit Clintons verhandelt heute nicht der Präsident selbst, sondern seine Außenministerin.

Condoleezza Rice und das State Departement sind voll engagiert, aber gilt dies auch für den Präsidenten und vor allem seinen mächtigen Vizepräsidenten? Hat man sich dort tatsächlich von der gescheiterten Strategie des „Über Bagdad nach Jerusalem“ verabschiedet? Daran bestehen nach wie vor erhebliche Zweifel und das schwächt diese neue Friedensinitiative.

Die USA brauchen für den Nahen und Mittleren Osten eine völlig neue Regionalstrategie, um eines Tages aus dem Irak abziehen zu können, ohne dass das Land zerfällt und die Region endgültig in ein Chaos mit unabsehbaren Folgen rutscht. Und genau dafür wäre eine Friedenslösung im israelisch-palästinensischen Konflikt unter Einschluss von Syrien und Libanon der geeignete Ausgangspunkt.

Zudem eröffnet sich ironischer Weise gerade durch die drohende hegemoniale Dominanz des Iran eine neue Lage. Denn die meisten arabischen Staaten, vorneweg Saudi-Arabien und die Golfstaaten, haben nahezu existenzielle Ängste vor einer regionalen Hegemonialmacht Iran. Die Feindschaft gegen Israel hat im Vergleich dazu erheblich an Bedeutung verloren und ist stattdessen einer - öffentlich nicht ausgesprochenen Interessengleichheit - angesichts der iranischen Herausforderung gewichen. Israel und die gemäßigten arabischen Staaten sehen sich in Zukunft einer gemeinsamen Bedrohung namens Iran gegenüber, und diese völlig neue Mächtekonstellation in der Region eröffnet eine einmalige Chance für eine Lösung des Nahostkonflikts.

Freilich sind auch die Schwierigkeiten und Widerstände gewaltig, die einer Lösung des Konflikts entgegenstehen: der enge Zeitrahmen; die innen- und weltpolitische Schwäche der Regierung Bush durch das absehbare Ende ihrer Amtszeit und die Folgen des Irakkriegs; und schließlich die innenpolitische Schwäche der beiden Hauptakteure, des israelischen Premierministers Ehud Olmert und des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas.

Angesichts dieser dreifachen dramatischen Schwäche der Regierungen in Washington, Jerusalem und Ramallah fällt es daher von einem realistischen Standpunkt aus gesehen sehr schwer, an einen Erfolg des in Annapolis einzuleitenden Prozesses zu glauben.

Olmerts Spielräume für Kompromisse in der Sache sind in seiner Partei und vor allem in seiner Koalition extrem klein bis nicht vorhanden. Sollte er es dennoch versuchen, so droht seine Koalition zu scheitern. Und Abbas hat in den vergangenen Monaten zweimal gegen die Hamas verloren: in freien und geheimen Wahlen und im palästinensischen Bürgerkrieg in Gaza. Bei ihm stellt sich noch sehr viel mehr als bei Olmert die Frage, für wen er noch spricht.

An der Fähigkeit beider, das liefern zu können, was die jeweils andere Seite in diesem Friedensprozess unbedingt braucht, muss also gezweifelt werden. Andererseits verfügen aber Olmert und Abbas über ein fast identisches innenpolitisches Interesse. Sie wollen ihre Lage zuhause durch einen vorzeigbaren Fortschritt im Friedensprozess verbessern. Olmert möchte dadurch die nächsten Wahlen gewinnen und Abbas will mittels einer Volksabstimmung erneut die Oberhand über Hamas gewinnen.

Ganz offensichtlich beabsichtigt man in Annapolis einen Prozess einzuleiten, der die Ergebnisse der gescheiterten Verhandlungen von Camp David und dem ägyptischen Badeort Taba Ende 1999 mit der Vorgehensweise der 2002 erarbeiteten „Road Map“ verbinden soll: Keine Tabus mehr in der Sache sondern eine Vereinbarung über den Endstatus, die dann aber schrittweise und nach Maßgabe der Fortschritte bei der Umsetzung der jeweiligen Abschnitte durch die Konfliktparteien umgesetzt werden soll.

Diese Vorgehensweise wird sich aber als die entscheidende Hürde des gesamten Prozesses erweisen. Bisher sind alle Friedensbemühungen an der Umsetzung gescheitert, denn beide Konfliktparteien waren in der Vergangenheit dazu nicht Willens oder in der Lage. Ein solcher Ansatz einer schrittweisen Umsetzung hat nur dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn die USA, nachdrücklich unterstützt von den anderen Mitgliedern des Quartetts (Europa, Russland, UN-Generalsekretär) und den moderaten arabischen Staaten (vor allem Saudi-Arabien), sich wirklich mit ihrer ganzen Macht engagieren.

Andererseits gibt es gegenwärtig keinen anderen Ansatz zur Reaktivierung des Friedensprozesses; zu wählen ist nur zwischen diesem und der Fortsetzung der Tragödie. Und noch etwas ist gewiss: Die Gegner und Feinde eines Friedens im Nahen Osten werden umso weniger Ruhe geben, je mehr dieser Prozess erfolgreich zu werden verspricht. Auch darauf wird man sich einstellen müssen.

Die Palästinenser befinden sich bereits heute im Bürgerkrieg und auch in Israel wird im Fall eines wirklichen Kompromisses mit den Palästinensern die innenpolitische Lage mehr als heftig werden.

Realistischerweise sehen die Voraussetzungen für Annapolis also ziemlich düster aus. In der Vergangenheit sprach man im Nahen Osten immer davon, dass ein Friede in dieser Region nur „ein Friede der Starken“ sein könne. Dieser „Friede der Starken“ ist aber in Camp David und Taba gescheitert. Jetzt unternehmen ganz offensichtlich Schwache einen erneuten Versuch.

Ein erfolgreicher „Friede der Schwachen“ wäre angesichts der politischen Umstände nichts weniger als ein Wunder. Aber im Nahen Osten soll es, so die Fama, in der Vergangenheit durchaus Wunder gegeben habe – sehr viele blaue und dann und wann sogar ein wirkliches.



Montag, 19. November 2007

Der Gaul vor dem Hindernis

Von Joschka Fischer

Regierungsumbildung in Berlin: Die SPD hat eine große Chance nicht genutzt

Normalerweise ist der November in unseren Breiten ein nebelverhangener Monat. Das Gegenteil gilt jedoch in diesem Jahr für die Bundespolitik. Es klärt sich die Sicht auf das weitere Schicksal der Großen Koalition und die Bundestagswahl 2009.

Denn am Abend des 12. November tagte im Berliner Kanzleramt die Koalitionsrunde und beerdigte, entgegen allen internen und öffentlichen Erwartungen, eine Einigung auf den sogenannten „kleinen“ Mindestlohn für Beschäftigte in Postunternehmen. Und am Morgen danach verkündete das wichtigste Mitglied des Kabinetts nach der Bundeskanzlerin, der sozialdemokratische Arbeitsminister Franz Müntefering, seinen Rücktritt aus familiären Gründen.

Franz Münteferings Entscheidung verdient Respekt und Anteilnahme. Zwischen den beiden Ereignissen bestand kein Zusammenhang. Dies kann man allerdings über deren Folgewirkungen für die Große Koalition im Allgemeinen und die SPD im Besonderen nicht behaupten. Denn mit Franz Müntefering ging die zentrale sozialdemokratische Figur in der Bundesregierung, auf der bisher, gemeinsam mit der Kanzlerin, die machtpolitische Architektur des Kabinetts Merkel ruhte.

Allein der Rücktritt von Franz Müntefering hätte schon eine tief gehende Erschütterung in der Konstruktion der Großen Koalition bedeutet. In Verbindung mit dem Scheitern der nächtlichen Koalitionsrunde ist es allerdings keine Übertreibung, wenn man einen inneren Bruch in der Koalition feststellt.

Denn die Kanzlerin hat gegenüber ihrem Koalitionspartner in der für diesen entscheidenden Sachfrage, in der man sich zuvor bereits auf einen Kompromiss geeinigt hatte - Mindestlohn nicht allgemein, sondern nur für den Tarifbereich der Postunternehmen -, ihr bereits gegebenes Wort zurückgenommen. Wenn aber auf das Wort der Regierungschefin in einer Koalition kein Verlass mehr ist, dann bricht Endzeitstimmung an; Koalitionen sind schon aus weit geringeren Gründen gescheitert.

Die Rollenverteilung zur Halbzeit der großen Koalition scheint klar zu sein: Den Unionsparteien geht es gut, der SPD hingegen schlecht, sehr schlecht sogar. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass alle an der Großen Koalition beteiligten Parteien in ihrem Innenleben mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben, die ihre Stabilität gefährden können. In der SPD ist dies nur zu offensichtlich, und dies gilt auch für den kleinsten Koalitionspartner, die CSU.

Erstaunlicherweise trifft dieser Befund aber auch für die nach außen so glänzend dastehende CDU zu. Warum? Die neoliberale Öffnung der Partei auf ihrem Leipziger Parteitag hätte sie 2005 fast den Wahlsieg gekostet, und seit diesem Schock fährt Angela Merkel strategisch eine steile Linkskurve. Das Herz der Mehrheit in Fraktion und Partei hängt aber nach wie vor an der neoliberalen Wende von Leipzig.

Diese Mehrheit erträgt oder erleidet die Rückwendung ihrer Parteivorsitzenden nach links mehr, als dass sie den neuen Kurs aus Überzeugung tragen würde. Der Mindestlohn wird eben nicht nur als ordnungspolitischer Sündenfall angesehen, sondern auch als ein Zuviel der strategischen Anpassung nach links.

Genau darin bestand das Problem der Angela Merkel vor jener Koalitionssitzung, in der sie ihre Zusage wieder einsammeln musste. Zudem hat sich eine ihrer entscheidenden publizistischen Stützen, der Axel Springer Verlag, massiv im privaten Postsektor engagiert. Auch dieses Faktum hat offensichtlich schwer gewogen. Angesichts dieser Umstände kann man daher weniger von einer Demonstration der Stärke durch die Bundeskanzlerin sprechen als vielmehr von einer Anpassung an die Macht der Verhältnisse.

Trotz aller hervorragenden Umfragedaten scheint die Achillesferse der Kanzlerin ihr keineswegs konflikterprobter Rückhalt in Partei und Fraktion zu bleiben. Helmut Kohl konnte Rückschläge, Niederlagen und sogar Putschversuche verkraften angesichts seiner starken Verankerung in seiner Partei. Für Angela Merkel bleibt es, da mag es allerlei Sonnenschein geben, aber dennoch nach wie vor ungewiss, ob sie eine ernsthafte Niederlage tatsächlich im Amt überstehen würde.

Ihr Gegenüber, der sozialdemokratische Parteivorsitzende Kurt Beck, hat diese Sorge nicht, dafür aber einen ganzen Berg anderer Misshelligkeiten. Seit vielen Monaten muss er gegen den Verfall der Zustimmung zu Partei und Person in der Wählerschaft kämpfen. Die Ursache für diesen Niedergang ist anhand der Umfragen sehr leicht zu benennen: die Linkspartei. Und damit lautet die eigentliche Herausforderung für Kurt Beck, den strategischen Fehler Gerhard Schröders erfolgreich zu korrigieren, den dieser beging, als er sich damals zu vorgezogenen Neuwahlen entschloss.

Blicken wir zurück: Die Rechnung von Gerhard Schröder war hoch riskant und wäre fast aufgegangen. Denn es ging ihm 2005 um einen Koalitionswechsel durch Neuwahlen (was gelungen ist) und unter einem sozialdemokratischen Kanzler (was sehr knapp verfehlt wurde). Der strategische Fehler dieser macht- und wahltaktischen Rechnung lag aber in dem Faktor Linkspartei, den Schröder nicht einkalkuliert hatte. Die SPD bezahlt seitdem für diesen Fehler einen hohen Preis, nämlich auf Dauer die CDU als stärkste Partei davonziehen zu sehen.

Kurt Beck blieb daher über kurz oder lang gar nichts anderes übrig, wenn er dem freien Fall seiner Partei nicht tatenlos zuschauen wollte, als Gerhard Schröders Fehler zu korrigieren und eine Öffnung nach links vorzunehmen. Zumal nach dem letzten Parteitag der CDU - Überraschung! - diese nun ebenfalls links von der SPD auftauchte. Denn man vergesse nicht, dass es die CDU und nicht die SPD gewesen war, die die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer wieder zum Thema gemacht hatte!

Mit der Entscheidung der SPD auf ihrem letzten Parteitag zum Arbeitslosengeld - in der Sache falsch, strategisch aber unabweisbar - hatte die SPD zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die CDU wurde links ausgebremst und der Kampf gegen die Linkspartei um die Wiedergewinnung der sozialen Meinungsführerschaft und damit abtrünnig gewordener Wähler eröffnet. Das Ziel dieser Strategie ist die Bundestagswahl 2009.

Kurt Beck allein ist heute das machtpolitische Schwergewicht der SPD und niemand anders. Umso unverständlicher erscheint in diesem Licht die Weigerung Kurt Becks, als Nachfolger von Franz Müntefering und als die unangefochtene Führungsfigur der SPD in das Bundeskabinett einzutreten. Denn an diesem Tisch wird die Vorentscheidung für den Ausgang der Bundestagswahl fallen und nicht im Koalitionsausschuss. Das Gegenargument, dass ein Parteivorsitzender jenseits der Kabinettsdisziplin mehr Handlungsfreiheit genieße, ist nicht ernsthaft belastbar, wenn man auf Sieg und nicht auf Platz in den kommenden Wahlen setzt.

Die SPD steht in den Umfragen seit den Bundestagswahlen schlecht da, aber das muss so nicht bleiben. Tatsächlich könnte sie für sich reklamieren, dass sie die schmerzhafte Sanierung Deutschlands erfolgreich angepackt habe und dass man genauso erfolgreich jetzt den zweiten Schritt, die Neugestaltung der sozialen Gerechtigkeit, in Angriff nehmen werde. Nach dem Fordern komme jetzt das Fördern - so könnte es die SPD mit gutem Recht erklären.

Mit einer solchen Argumentation hätte die Partei ihre Schachfiguren in mancherlei Hinsicht gut aufgestellt: gegenüber der Union, gegenüber der Linkspartei und selbst für eine zweite Runde einer möglichen Reformdebatte während einer sich abkühlenden Konjunktur. Selbst andere Koalitionsoptionen, wie eine Ampel, würden durch eine Strategie, die auf Sieg setzt, eher wahrscheinlich denn durch Abwarten.

Ganz grundsätzlich gesprochen: Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird auch die kommende Bundestagwahl 2009, wie ihre Vorgängerin, mit dem Gerechtigkeitsthema und damit links entschieden werden. Infolge dieser Faktoren sieht es für die Sozialdemokratie, alles in allem gesehen, besser aus, als es die heutige Lage nahelegt. Warum also so mutlos und unentschlossen?


In der Politik ist es wie beim Springreiten. Wenn ein Gaul den Sprung über eine Hürde verweigert, dann kann schon mal der Reiter kopfüber aus dem Sattel fliegen. Mit den Personalentscheidungen in der vergangenen Woche haben die Sozialdemokraten eine große Chance vertan. Denn mit der Aufteilung von Sach- und Machtfragen auf drei Personen wird das Bild der Partei unklar bleiben. Es sieht eben alles eher nach Platz denn nach Sieg aus. Und damit nach dem Fortbestand der Großen Koalition über das Jahr 2009 hinaus. Denn was sollten die Unionsparteien sonst anstreben, angesichts eines, wie abzusehen, Bundestages mit fünf Parteien? Andere Mehrheiten als die jetzige lassen sich aus heutiger Sicht für die Union nur mit Mühe vorstellen.

Das wiederum ist kein beruhigender Gedanke. Denn eine innerlich zerrüttete und deshalb nur bedingt handlungsfähige Große Koalition ist keine gute Perspektive für Deutschland, vor allem wenn wir über 2009 hinausblicken.

Montag, 12. November 2007

Gegen die Wand

Von Joschka Fischer

Pakistans Krise ist ein Menetekel für die westliche Politik. Stabilität entsteht nicht durch die Unterstützung des Diktators

Unsereins lernte noch anhand eines Gedichtes von Friedrich Schiller, dass sich im alten Babylon finstere Ereignisse per Flammenschrift an der Wand anzukündigen pflegten. In unseren Tagen bedarf es dazu allerdings keines jenseitigen Aufwandes mehr, sondern es reicht der tägliche Blick in die Nachrichten. Blicken wir nur auf die vergangenen zwei Wochen zurück:

Am östlichen Rand des nah- und mittelöstlichen Krisenbogens kam es in Pakistan zum zweiten Putsch des Generals Musharraf; im Westen dieser großen Region drohte eine Ausweitung des Konflikts im Irak durch einen militärischen Einmarsch der Türkei; in den USA wird die Rhetorik der Neokonservativen innerhalb und außerhalb der Regierung Bush, die zu einem militärischen Angriff auf Iran aufrufen (Dritter Weltkrieg! Vierter Weltkrieg! Wer wird es denn auch so genau nehmen wollen?), immer hitziger und militanter; und zur selben Zeit durchbrach der Preis für das Barrel Öl die 100-Dollar-Marke. Man könnte noch die Lage im Irak, in Afghanistan, im Libanon oder auch im israelisch-palästinensischen Konflikt hinzufügen, um das deprimierende Bild vom Zustand dieser krisengeschüttelten Region zu vervollständigen.

All diese Ereignisse und Krisen böten auch dann Anlass zur Sorge, wenn man in den westlichen Hauptstädten, vorneweg in Washington, Klarheit in der Analyse, Realismus in der Strategie und Geschlossenheit im Handeln unterstellen dürfte. Genau davon darf man aber nicht ausgehen. Und genau deswegen nehmen die Nachrichten aus der Region zwischen Indus und der Ostküste des Mittelmeers mehr und mehr den Charakter eines Menetekels für die westliche Politik an.

Der Blick zurück ist in dieser Lage lehrreich. Nimmt man den 11. September 2001 als Bezugsdatum, so wird klar, dass die Position des Westens seither keinesfalls gestärkt wurde, obwohl er an Ressourcen, Fähigkeiten und Legitimation allen Widersachern weit überlegen ist. Aber beklagenswerter Weise verhält sich die Anzahl der Fehler der westlichen Politik in den vergangenen sechs Jahren proportional zu seiner Überlegenheit, und darin liegt das eigentliche Problem. Das neokonservative Weltkriegsgetöse verdeckt die Tatsache, dass seit der verhängnisvollen Entscheidung von Präsident Bush, in den Irak einzumarschieren, der Westen faktisch eine Strategie der Selbstschwächung betreibt. Die westliche Politik in dieser Region läuft daher ernsthaft Gefahr, gegen die Wand zu fahren.

Ein Osama bin Laden hingegen kann sich behaglich den Bart streichen, wenn er den Gang der Ereignisse betrachtet, denn die Entwicklung läuft in seine Richtung. Radikalisierung, Terror und Chaos greifen in der gesamten Region um sich. Und genau das war das strategische Ziel der Terrorattacken vom 11. September 2001.

Analysieren wir die Ereignisse in Pakistan etwas näher: Mit dem erneuten Militärputsch von Musharraf droht nunmehr auch diese Nuklearmacht mit fast 200 Millionen Menschen in Richtung eines gescheiterten Staates wegzurutschen. Musharrafs Putsch richtete sich gegen den wachsenden Druck der demokratisch-zivilgesellschaftlichen Opposition und eben nicht gegen die islamistischen Radikalen, die mehr und mehr zu afghanischen Taliban werden. Objektiv war dies also ein anti-westlicher Militärputsch, da er sich gegen die Kräfte der Demokratie, des Rechts und der Modernisierung in Pakistan richtete.

Zudem wurde er aus der Schwäche des Militärregimes geboren, und das macht seine Folgen so gefährlich für die Zukunft des Landes und der Region. „Schwäche“ heißt in diesem Fall ein zunehmendes Legitimationsdefizit Präsident Musharrafs und der Herrschaft des Militärs. Genau dieser Mangel an Legitimation wird aber durch den Putsch verstärkt und nicht verringert.

Die eigentlichen Gewinner dieser Konfrontation werden die Radikalen sein. Pakistan und sein Geheimdienst ISI hatten über Jahre hinweg die afghanischen Taliban aufgebaut, ausgerüstet und gefördert. Nunmehr gerät es aber zunehmend in die Rolle des Zauberlehrlings, dem sein Besen außer Kontrolle geraten ist. Denn mittlerweile haben sich „pakistanische Taliban“ entwickelt, die in den Grenzgebieten zu Afghanistan und zunehmend auch im Norden des Landes über „befreite Gebiete“, also über eine territoriale Rückzugsbasis, verfügen. Und diese Entwicklung hält an.

Zudem bleibt es eine offene und wichtige Frage, wie weit und wie tief der Einfluss der pakistanischen Taliban in das Militär und in den ISI hineinreicht. Die in Pakistan kursierenden Informationen darüber geben wenig Anlass zu Hoffnung. Die militärische Unterdrückung des Aufstands in der Roten Moschee in Islamabad vor einigen Monaten scheint zudem die islamistischen Radikalen eher gestärkt als geschwächt zu haben, wie eine ganze Serie verheerender Attentate auf das Militär danach gezeigt hat. Und auch die Militäraktionen in den Nordwestprovinzen und in Belutschistan waren ein Fehlschlag und haben zu einer wachsenden Demoralisierung im Militär geführt.

Angesichts dieser jüngsten Ereignisse in Pakistan hat in den USA eine Diskussion begonnen, die mit viel Recht auf die Parallelität der Entwicklung in Pakistan mit der Entwicklung im Iran vor dem Sturz des Schahs von Persien im Jahr 1979 hinweist.

Heute wie damals war die fehlende Legitimation des Regimes dessen größte Schwäche; heute wie damals hat der Westen das Regime unterstützt, anstatt rechtzeitig auf eine demokratische Modernisierungsalternative zu setzen und zu ihrem Aufbau über die Jahre hinweg beizutragen; heute wie damals hatte er überhaupt kein Verständnis für die historische Kraft eines revolutionären Nationalismus in diesen Ländern, der sich zudem religiös aufgeladen hat; und heute wie damals wird der Westen und vor allem Amerika von einer wachsenden Mehrheit in diesen Ländern als die Kraft gesehen, die jene ins Wanken geratenen Regime mit mangelnder Legitimation an der Macht hält. Antiamerikanismus und der Hass auf den Westen wird dadurch zu einer weiteren Antriebsfeder eines revolutionären Nationalismus, und genau dies geschieht gegenwärtig ebenfalls in Pakistan.

Allerdings, Geschichte wiederholt sich nicht. Dies ist aber alles andere als eine beruhigende Erkenntnis, denn Pakistan verfügt über Atombomben und eine riesige Bevölkerung. Wenn dieses Land außer Kontrolle gerät, dann würde die iranische Revolution von 1979 dagegen nur einem milden Lüftchen gleichen. Und auch Afghanistan wäre dann endgültig verloren.

Der Einsatz, um den es in Pakistan regionalpolitisch und weltpolitisch geht, ist sehr hoch. Wenn der Westen nicht den Mut und die Einsicht aufbringt, jetzt, trotz aller Schwierigkeiten, auf die in Pakistan vorhandenen rechtsstaatlichen und demokratischen Kräfte zu setzen, die das Legitimationsdefizit des gegenwärtigen Regimes schließen können, dann werden eines nicht allzu fernen Tages die radikalen Islamisten das Vakuum füllen. Iran lässt grüßen. Auch deshalb ist jetzt die in Pakistan sichtbare und spürbare Solidarität des Westens mit all jenen Richtern, Rechtsanwälten und Journalisten - darunter sehr viele Frauen -, die von der Militärregierung ins Gefängnis geworfen werden, von entscheidender Bedeutung - anstelle von Solidaritätsadressen für Musharraf.