Montag, 28. Januar 2008

Bush scheitert in Gaza

Kleine Schritte nach vorn, große zurück? Im Nahen Osten ist nur das Utopische realistisch, nämlich ein Ausweg, den alle akzeptieren können.

Zwei Ereignisse der vergangenen Tage haben offensichtlich werden lassen, dass die jüngste amerikanische Nahostinitiative von Anfang an auf Treibsand gebaut war: die Reise des amerikanischen Präsidenten in die Region und der eskalierende Konflikt zwischen Israel und Hamas in Gaza.

Die Konferenz von Annapolis verfolgte drei Ziele, die miteinander eng verbunden waren, nämlich erstens einen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern auf der Grundlage einer zu verhandelnden Zwei-Staaten-Lösung. Dadurch sollten zweitens die Voraussetzungen für eine antiiranische Koalition der prowestlichen arabischen Staaten, Israels und der USA geschaffen werden, um so die durch den Irakkrieg erheblich gesteigerte Macht Irans in der Region zu begrenzen oder gar zurückzudrängen. Und drittens sollten auf mittlere Sicht dadurch die Voraussetzungen für eine amerikanische Truppenreduzierung oder gar den völligen Abzug aus dem Irak geschaffen werden.

George Bushs Reise an den Persischen Golf und nach Saudi-Arabien erwies sich am Maßstab dieser Ziele allerdings als Enttäuschung. Die Könige, Emire und Präsidenten hörten ihm zwar freundlich zu, zeigten ihm wunderschöne Jagdfalken und prächtige Araberhengste und vereinbarten auch umfängliche amerikanische Waffenlieferungen.

Aber bezüglich des eigentlichen politischen Zwecks dieser Reise, nämlich der Stärkung der antiiranischen Koalition und verstärkten Isolierung Irans hielten die gastgebenden Regierungen eine freundliche, aber bestimmte Distanz zu den Plänen des US-Präsidenten. Von ihm erwarten sie keine Lösungen mehr, da seine Tage gezählt sind.

Zudem hat sich in Saudi-Arabien, der wichtigsten Regionalmacht in dieser antiiranischen Koalition, offensichtlich jener Flügel in der Herrscherfamilie durchgesetzt, der die Möglichkeiten eines diplomatischen Containments Irans am Golf noch nicht für erschöpft hält. Eine solche Strategie weist zeitlich aber eindeutig über Bush und seinen Vizepräsidenten Cheney hinaus und orientiert sich vielmehr an dem nächsten amerikanischen Präsidenten, wer immer dies auch sein wird.

Einen noch heftigeren, ja vielleicht sogar finalen Rückschlag hat die amerikanische Initiative nun durch die Ereignisse in Gaza erlitten.

Die bisherige israelische und amerikanisch-westliche Strategie angesichts der bei den letzten freien und geheimen Wahlen in den Palästinensergebieten erfolgreichen radikalislamischen Hamas richtete sich auf ihre umfassende Isolierung. Diese Strategie galt erst recht nach dem kurzen und blutigen Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah in Gaza, der mit einem Kollaps der Fatah und ihrer zahlenmäßig überlegenen Streitkräfte endete.

Hamas hält an der Rückeroberung ganz Palästinas fest und damit auch an der Zerstörung des Staates Israel. Konsequenterweise lehnt Hamas die von der palästinensischen Regierung unterzeichneten internationalen und mit Israel getroffenen Vereinbarungen ab und sieht im Terror eine legitime Waffe gegen Israel.

Auf dieser politischen Grundlage war für den Westen eine Zusammenarbeit mit einer von Hamas geführten Regierung nicht möglich. Alle Angebote, die vor allem die EU gemacht hatte und die eine Veränderung dieser Positionen anstrebten, wurden von Hamas abgelehnt.

Der Westen, vorneweg die USA, setzte stattdessen allein auf Präsident Abbas und seine Fatah, die freilich von Hamas zuerst bei den Wahlen und anschließend im Bürgerkrieg von Gaza geschlagen wurde.

Sowohl in Ramallah als auch in Jerusalem geht man sogar davon aus, dass ohne die massive Präsenz israelischer Sicherheitskräfte in der Westbank auch diese Region von Hamas übernommen werden würde. Die palästinensische Verwaltung, ebenso wie die Fatah als politische Partei, die diese Verwaltung in den Händen hält, wird in den Augen der Mehrheit der Palästinenser als korrupt und unfähig angesehen. Zudem zeitigt ihre Verhandlungsstrategie mit Israel keine greifbaren Erfolge.

Ganz anders hingegen agiert Hamas. Sie rüstet im Gazastreifen nach wie vor auf. Fast täglich gehen auf israelische Städte und Dörfer an der Grenze zu Gaza zahlreiche Raketen nieder, und es ist nur der technischen Primitivität dieser Geschosse zu verdanken, dass bisher nicht mehr zivile Opfer auf der israelischen Seite zu beklagen waren. Israel schlägt militärisch zurück; begrenzt zwar, aber dennoch sind auch auf palästinensischer Seite zahlreiche Zivilsten unter den Opfern zu beklagen.

Durch die völlige Isolierung des Gazastreifens sollte Hamas in die Knie gezwungen werden. Diese Strategie hatte aber einen entscheidenden Fehler, denn sie traf vor allem die Masse der palästinensischen Zivilbevölkerung. Hamas nutzte die sich dramatisch verschlechternde humanitäre Situation in Gaza, um sich in der arabischen Welt und in der internationalen Öffentlichkeit als Opfer darzustellen.

Mit dem kollektiven Ausbruch von Hunderttausenden aus Gaza ist Hamas jetzt ein brillanter strategischer Schachzug gelungen. Geschickt wurde hier eine Symbolik der Befreiung instrumentalisiert. Der Ausbruch und der Mauerfall waren wohl vorbereitet und organisiert und machen die tatsächlichen Ursachen für die palästinensische Misere und die wahren Absichten von Hamas, die nichts mit Freiheit zu tun haben, vergessen.

Die Folgen dieser Woche werden noch lange zu spüren sein: Erstens sind Abbas und seine Fatah schwächer denn je. Seine Hoffnung, die unterlegene innenpolitische Lage durch einen Friedensvertrag mit Israel überwinden und damit gegenüber Hamas mittels einer Volksabstimmung über den Vertrag die Oberhand zurückgewinnen zu können, hat sich erledigt. Ein Verhandlungsprozess mit Abbas allein wird infolgedessen noch fragwürdiger als bisher.

Zweitens sind dadurch die arabischen Staaten – vorneweg Ägypten – unter einen enormen, humanitär begründeten Druck gesetzt worden, sich mit den Palästinensern in Gaza und damit de facto mit Hamas zu solidarisieren, dem sie nicht ausweichen können. Dies wird jede Isolierungsstrategie gegenüber Hamas in Zukunft hinfällig machen, mit der Konsequenz, dass Hamas im Gazastreifen weiter aufrüsten und die Bedrohung von Israel zunehmen wird.

Drittens findet sich Israel in der Wahl zwischen Pest und Cholera wieder: Entweder wird die Aufrüstung der Hamas mit immer genauer zielenden und weiter reichenden Raketen und damit die Bedrohung für Israel und seine Bürger zunehmen, oder Israel entschließt sich zu einer militärischen Invasion in den Gazastreifen, die viele Opfer unter der Zivilbevölkerung und weder eine militärische noch eine politische Lösung bringen wird.

Israel ist Hamas zwar militärisch haushoch überlegen, kann aber sein militärisches Potenzial nicht voll ausspielen, ohne weite Teile der Zivilbevölkerung zu treffen. Dies würde aber erneut nur Hamas in die Hände spielen und Israel international unter schweren Druck setzen und am Ende sogar isolieren.

Auch die Hoffnung mancher in Jerusalem, die Palästinenser in Gaza und auf der Westbank an Ägypten und Jordanien zurückgeben zu können, unterliegt einer gefährlichen Illusion. Denn beide Staaten sind im Kern keineswegs stabil, und eine Rückübernahme dieser beiden palästinensischen Territorien könnte die Destabilisierung von Jordanien und Ägypten akut werden lassen.

Und viertens kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben, wenn es nicht gelingt, die Ablehnungsfront aufzuweichen, und zumindest wesentliche Teile von Hamas und der hinter ihr stehenden Staaten wie Syrien und Iran einzubinden. Damit hätte sich aber die jüngste amerikanische Friedensinitiative erledigt.

Im Nahen und Mittleren Osten sind, dank der Destabilisierung der Region durch den Irakkrieg der USA und dessen regional fataler Folgen, die verschiedenen Einzelkrisen mittlerweile so eng miteinander verflochten, dass es kaum noch möglich sein wird, zu erfolgreichen Teillösungen zu kommen.

Israel/Palästina, Libanon/Syrien, Irak/Iran/Syrien, Saudi-Arabien/die Golfstaaten/Iran – für alle diese Teilkrisen wird die nächste amerikanische Regierung gemeinsam mit den Europäern und den anderen beiden ständigen Sicherheitsratsmitgliedern einen regionalen Gesamtausgleich suchen müssen, in dem sich die legitimen Interessen aller Staaten und Völker wiederfinden.

Dieser Regionalansatz muss selbstverständlich die Anerkennung des Existenzrechts Israels als jüdischen Staats umfassen, die Unabhängigkeit Libanons, Syriens territoriale Integrität, die territoriale Integrität des Irak, die legitimen iranischen Sicherheitsinteressen und die Stabilität am Golf und auf der arabischen Halbinsel.

Diese regionale Sicherheitsordnung muss auch für die Völker ohne Staaten Lösungen bringen, wie die Palästinenser. Und auch auf die Kurdenfrage wird eine Antwort gefunden werden müssen, die einen Ausgleich zwischen den Interessen der Kurden und den betroffenen Staaten in der Region – Irak, Türkei, Iran und Syrien – zur Grundlage haben muss.

Denn nur wenn am Ende bei einem regionalen Ausgleich alle Beteiligte mehr gewinnen als verlieren können, wird solch ein schwieriges Unterfangen gelingen können. Unmöglich ist es nicht.

Die Alternative zu einem regionalen Ausgleich, garantiert durch ein regionales Sicherheitssystem, ist der Krieg aller gegen alle, eine galoppierende Radikalisierung und Chaotisierung, ja perspektivische Revolutionierung dieser strategisch so überaus wichtigen Region.

Allerdings werden die USA diese große Aufgabe niemals allein bewältigen können. Europa wird in seiner Nachbarregion, in der es Sicherheitsinteressen hat, mit einer neuen Verantwortung konfrontiert werden, der es sich nicht wird entziehen dürfen.

Montag, 21. Januar 2008

Ein besonderes Paar

Diese Woche wandert der Blick nach Frankreich. Aber aus anderen Gründen als den sattsam bekannten.

Keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, ich will hier nicht den x-ten Beitrag zu Nicolas und Carla liefern. Mir geht es vielmehr um Angela und Nicolas, um Kanzlerin und Präsident und um die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen. Denn in einem sich schnell und radikal verändernden internationalen Umfeld hat beiderseits des Rheins eine neue Generation die Schalthebel der Regierungsmacht übernommen. Damit wird ein neues Kapitel im Buch der deutsch-französischen Beziehungen begonnen.

Na und? So werden sich manche Leser jetzt fragen? Trägt denn das deutsch-französische Verhältnis in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten überhaupt noch eine große Bedeutung? Die Antwort ist ein eindeutiges Ja.

Denn nach wie vor gilt in der Europäischen Union der unveränderte Grundsatz, dass, wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind und zugleich die anderen Mitgliedstaaten nicht ausschließen, auch in der erweiterten Union fast alles möglich ist. Wenn sich hingegen diese beiden großen Gründerstaaten nicht einigen, dann geht in Europa so gut wie nichts voran.

Auch die erweiterte Union bleibt im Kern auf die Überwindung des deutsch-französischen Widerspruchs aufgebaut, der das späte 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf so fatale Weise geprägt hat.

Die politische Kultur und die Mentalitäten der Deutschen und Franzosen könnten unterschiedlicher nicht sein, und sie beeinflussen das Verhältnis dieser Nachbarn bis auf den heutigen Tag.

Frankreich glaubt nach wie vor an seinen kulturell-politischen Exzeptionalismus. Der Gedanke an eine historische Mission der Deutschen hingegen hat sich gründlich desavouiert. Frankreich sieht sich bis heute als eine Macht mit globalem Anspruch, während Deutschland nach wie vor große Schwierigkeiten hat, sich selbst überhaupt als Macht zu sehen und zu definieren. Die Franzosen sind geborene Zentralisten und leben in einer Art Wahlmonarchie, die Deutschen hingegen sind geborene Föderalisten, die auf ihre Kurfürsten in den Ländern nicht verzichten wollen und nahezu jeder Zentralisierung misstrauen.

All diese Unterschiede haben das deutsch-französische Verhältnis schon immer bestimmt. Und auch die Tatsache, dass sich das Personal in den Regierungs- und Staatsspitzen bisweilen so zugetan ist wie Hund und Katze im wirklichen Leben, ist alles andere als eine Neuheit. Die französische Latinität und der deutsche Protestantismus haben eben recht unterschiedliche politische Kulturen hervorgebracht.

Betrachtet man nun aber den Beginn jenes in den vergangenen Monaten aufgeschlagenen Kapitels der deutsch-französischen Beziehungen, so gestaltete er sich durchaus ansprechend, denn trotz aller medialer Aufgeregtheiten um persönliche Extravaganzen und Stilunterschiede haben Deutschland und Frankreich in der Frage des Reformvertrags der EU erfolgreich zusammengearbeitet.

Die Haltung Frankreichs gegenüber den neuen Mitgliedstaaten in der EU ist wesentlich offener und freundlicher geworden, was die innere Integration der EU befördern wird. Der Regierungswechsel in Polen eröffnet überdies eine neue Chance auch für das sogenannte „Weimarer Dreieck“ (Paris-Warschau-Berlin) sowie für eine effizientere gemeinsame Russlandpolitik der EU.

Da sollte man meinen, dass aufgrund der von Präsident Sarkozy vorgenommenen Korrektur der französischen Nahost- und Amerikapolitik der Zuwachs an deutsch-französischer Gemeinsamkeit die Handlungsfähigkeit der EU im Nahen Osten stärken müsste.

Leider lässt sich dies bis heute nicht feststellen.

Stattdessen ziehen am deutsch-französischen Horizont Wolken auf, die nicht ignoriert werden sollten, weil sich daraus für Europa ernste Probleme ergeben könnten. Einerseits sind dies Konflikte, die sich aus mangelnder Abstimmung und einem Hang zu Alleingängen ergeben, wie etwa die Idee der „Mittelmeerunion“.

Ein paralleles Unternehmen zum EU-internen „Barcelonaprozess“ würde den Zusammenhalt der Union in dieser strategisch wichtigen Region gefährden, die europäische Politik daher schwächen und auch unnötigerweise die Frage der Finanzsolidarität innerhalb der EU aufwerfen. Andererseits hätte der daniederliegende „Barcelonaprozess“ innerhalb der EU tatsächlich einen Energieschub und neue Ideen dringend nötig.

Derlei Reibereien werden sich vermutlich mit der Zeit wohl abfedern lassen. Zunehmend aber werden die Konturen tieferer Widersprüche sichtbar, die Anlass zu ernsterer Sorge geben, sollten sich beide Seiten nicht darum kümmern.

Zwar hat Präsident Sarkozy die traditionelle Politik Frankreichs gegenüber den USA und der Nato revidiert, aber in der Wirtschafts- und Industriepolitik betreibt er eine Renationalisierung. Die französische Wirtschaftspolitik – und nicht nur sie – zielt darauf, nicht europäische Champions zu schaffen, sondern nationale.

Das wird erstens zu einer Blockade der dringend nötigen weiteren Integration des Binnenmarktes führen, da andere Regierungen diesem Beispiel nolens volens folgen werden. Wirtschaftliche Integration beruht auf Gegenseitigkeit.

Und zweitens wird eine wirtschaftliche Renationalisierung zu Lasten der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in strategischen Bereichen gehen, weil die Rivalität im Binnenmarkt zunehmen und der Aufbau europäischer Unternehmen nicht wirklich vorankommen wird.

Frankreich hat die Anpassung seiner Volkswirtschaft und Sozialsysteme an die neue Wirklichkeit der Globalisierung und einer immer älter werdenden Gesellschaft in den vergangenen Jahren nur unzureichend vorgenommen. Das hat negative Auswirkungen auf die öffentliche Verschuldung, auf den Außenhandel und auf Frankreichs Haltung gegenüber der europäischen Währungsunion.

Ausgehend von den USA kommt gegenwärtig auf die Weltwirtschaft und auch auf Europa ein finanzpolitischer Sturm zu, von dem man noch nicht weiß, ob er sich zu einem weltwirtschaftlichen Orkan entwickeln wird. Das kann den Euro und den Zusammenhalt der Eurozone zum ersten Mal einem wirklichen Härtetest unterziehen.

Die Hoffnung von Nicolas Sarkozy, dem inneren Reformdruck partiell dadurch entgehen zu können, indem er die strikten geldpolitischen Regeln und Ziele der Europäischen Zentralbank aufzuweichen versucht, muss aber unweigerlich in einen ernsten Konflikt mit Deutschland führen. Denn keine deutsche Regierung kann dies jemals akzeptieren. In dem sich entwickelnden negativen weltwirtschaftlichen Umfeld können solche Vorschläge noch sehr viel mehr an europapolitischer Brisanz entwickeln.

Andererseits bietet die Präsidentschaft Sarkozys eine große Chance, den traditionellen Widerspruch zwischen Nato und EU zu überwinden, bis hin zur Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration der Nato. Damit würde die Blockade der europäischen Sicherheitspolitik aufgebrochen.

Deutschland muss sich hier fragen – zumal es eine stärkere und international handlungsfähigere EU will –, ob es jetzt nicht an der Zeit ist, die Vorschläge der kommenden französischen EU-Präsidentschaft zu einer Verstärkung der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik massiv zu unterstützen. Dies hieße aber auch ein Mehr an deutschen Investitionen in Sicherheit und eine verstärktes Engagement Deutschlands, gemeinsam mit seinen Partnern, im internationalen Krisenmanagement.

Das deutsch-französische Paar kann jetzt europäische Führung zeigen, wenn es sich in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik und in der europäischen Sicherheitspolitik auf eine gemeinsame Politik einigen würde, die andere mitnimmt und nicht ausschließt. Dann könnte Europa nach dem Reformvertrag einen weiteren großen Schritt nach vorne machen, und zwar in zunehmend schwierigen Zeiten.

Montag, 14. Januar 2008

Wird alles wieder gut?

Was vom zukünftigen Präsidenten der USA erwartet werden kann - und was nicht. Und was Europa jetzt schon tun sollte.

Wer wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten? Die bisherigen Vorwahlen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben nicht allzu viel zur Klärung dieser nicht ganz unwichtigen Personalie beigetragen.

Um bereits heute zu prognostizieren, wie der nächste amerikanische Präsident heißen wird, bedürfte es angesichts der unübersichtlichen Kandidatenlage wahrhaft hellseherischer Fähigkeiten. Das Verhältnis der USA zu Europa und zu den Grundsätzen der internationalen Politik lassen sich aber bereits heute absehen.

Wenn man die aus tiefer Frustration über die Politik der gegenwärtigen US-Regierung entstandenen Hoffnungen zahlreicher Menschen (und Regierungen) in Europa betrachtet, so wird es am Wahltag in den USA eines mittleren politischen Wunders bedürfen, um diese Hoffnungen auf einen fundamentalen Wandel der amerikanischen Außenpolitik nicht zu enttäuschen. Man kann aber bereits jetzt feststellen, dass es zu einem solchen Wunder – wer immer auch gewählt wird – nicht kommen wird.

Gewiss, die Regierung Bush hat zahlreiche außenpolitische Fehler mit weitreichenden Folgen gemacht – vorneweg der Irakkrieg und die damit einhergehende Destabilisierung des Nahen und Mittleren Osten. Und – heilige Dialektik! – dieser Präsident, der mit einem Programm globaler amerikanischer Überlegenheit angetreten war, hat durch seine Innen- wie Außenpolitik das gerade Gegenteil seiner erklärten Ziele erreicht, denn Amerikas Position ist heute erheblich schwächer als zu Beginn seiner Amtszeit.

Auch die Kluft zwischen Amerika und Europa hat sich in dieser Zeit weiter vertieft. Aber George W. Bush hat weder den Unilateralismus der USA erfunden noch die transatlantische Drift zwischen den USA und Europa ausgelöst. Gewiss, er hat diese beiden den Westen (im wesentlichen Amerika und Europa) schwächenden Trends erheblich verstärkt, aber deren eigentliche Ursachen liegen nicht in seiner Politik begründet. Sie haben vielmehr objektiv historische Gründe, die sich aus dem Ende des Kalten Kriegs, der damit einhergehenden alleinigen Weltmachtrolle Amerikas und der selbstverschuldeten Schwäche Europas ergeben haben.

Solange dieses Faktum für die USA fortgilt, nämlich die alleinige Weltmacht zu sein, solange wird auch der nächste amerikanische Präsident, wer immer es sein mag, an der Grundkonstellation amerikanischer Außenpolitik nicht wirklich etwas ändern können und ändern wollen.

Jenseits dieser Grundausrichtung der amerikanischen Außenpolitik wird allerdings die erste zentrale Weichenstellung in den kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen darin bestehen, ob ein Kandidat gewählt wird, der die Außenpolitik von George W. Bush fortzusetzen oder gar noch zu eskalieren gedenkt (Rudi Guliani etwa), oder ob es zu einer tatsächlichen Neuausrichtung kommen wird.

Sollte das Erstere der Fall sein, so wird sich die transatlantische Kontinentaldrift dramatisch verstärken. Denn weitere vier bis acht Jahre einer amerikanischen Politik, die dem Vorbild der jüngsten Vergangenheit folgte, würden dem transatlantischen Bündnis einen existenzbedrohenden Substanzschaden zufügen.

Im Fall eines echten Wechsels der amerikanischen Politik wird diese wieder multilateraler werden, stärker auf internationale Institutionen und Bündnisse setzen und das Verhältnis von Militär und Diplomatie wieder mehr in die traditionellen Bahnen der amerikanischen Außenpolitik zurückführen. Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht lautet hingegen, dass sich die Weltmacht Amerika auch unter solch erfreulicheren Bedingungen nicht von einer „Politik der freien Hand“ verabschieden und dass sie ebenso wenig ihren Überlegenheitsanspruch gegenüber allen anderen Mächten und Partnern vergessen wird. Und dass eine mehr multilateral ausgerichtete amerikanische Politik den Druck vor allem auf die Europäer erheblich verstärken wird, mehr Verantwortung für die internationale Krisenbewältigung und Konfliktlösung zu übernehmen: Afghanistan, Irak, Iran, Nahost, Transkaukasien, Russland, aber auch die Zukunft der Türkei, um nur einige der Probleme zu benennen. Europa sollte die Punkte Afrika, Klimaschutz, UN-Reform und Welthandelssystem in diese gemeinsame Agenda einfügen.

Europa unterschätzt seit längerer Zeit sein Gewicht und seine Bedeutung für die Entwicklung anderer Mächte außerhalb Europas und des internationalen Systems im 21. Jahrhundert. So sendet zum Beispiel die anhaltende Schwäche des europäischen Auftretens sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber den USA fatale Signale, die dort in Politiken umgesetzt werden, die sichtbar in falsche Richtungen führen.

Sowohl die Form des europäischen Einigungsprozesses, also die Integration der Interessen souveräner Staaten mittels gemeinschaftlicher Institutionen, sein neues Modell von Machtprojektion, nämlich einen dauerhaften kontinentalen Frieden durch Entwicklung und Integration von ganzen Volkswirtschaften, Staaten und Gesellschaften zu schaffen (der EU-Erweiterungsprozess) als auch die geopolitische Lage Europas und sein politisches, wirtschaftliches und soziales Gewicht könnten eigentlich den entscheidenden Beitrag für die Gestaltung einer kooperativen Weltordnung im 21. Jahrhundert leisten. Denn dieses objektive Gestaltungspotenzial des neuen Europa ist international allen anderen gegenwärtigen politischen Ordnungsansätzen in Sachen Modernität, Fortschritt und Frieden um Längen überlegen.

Könnte, wie gesagt! Tut es aber nicht, weil es da auf der anderen Seite die europäische Zerstrittenheit und Uneinigkeit gibt, welche die EU schwach und nur eingeschränkt handlungsfähig macht. Objektiv stark, subjektiv kurz vor dem Siechenhaus, so ließe sich in polemischer Überspitzung die gegenwärtige Verfasstheit der EU politisch auf den Punkt bringen. Deshalb konnte Europa auch das von der Politik George W. Bushs geschaffene Vakuum nicht füllen, und dadurch wurde die Krise des Westens in den vergangenen sieben Jahre noch erheblich verstärkt.

Der amerikanische Schwächeanfall ereignet sich nun in einem wesentlich veränderten weltpolitischen Umfeld, das vor allem durch die Grenzen der amerikanischen Weltmacht, die Schwäche Europas und den Aufstieg neuer globaler Giganten, wie China und Indien, bestimmt wird.

Hat angesichts dieser globalen Entwicklungen der Begriff des Westens überhaupt noch Sinn? Ich meine, mehr denn je. Denn durch eine Trennung würden beide Seiten des Atlantiks wesentlich schwächer werden, als wenn man auch in Zukunft an der Gemeinsamkeit des Westens festhielte. Allerdings werden beide Seiten in diese Zukunft ernsthaft investieren müssen. Die bloße Traditionspflege des herkömmlichen Transatlantismus wird für diese Zukunft nicht ausreichen.

Die unilaterale Überdehnung amerikanischer Macht bietet für einen Neubeginn in den amerikanisch-europäischen Beziehungen auch eine Chance. Amerika wird mehr als früher auf starke Partner angewiesen sein und solche Partnerschaften suchen. Die Europäer sollten daher nicht abwarten, bis ein neuer US-Präsident oder eine neue Präsidentin ihnen Forderungen stellt, sondern jetzt mit Ideen und Angeboten vorangehen.

Warum nicht damit beginnen, den traditionellen Widerspruch zwischen Nato und EU zu überwinden, zumal sich unter Sarkozy die französische Politik gegenüber dem Bündnis positiv verändert? Eine gegenseitige regelmäßige Präsenz der politischen Führungsspitzen in den politischen Gremien beider Organisationen bedarf keines großen Aufwandes.

Warum die EU-US-Konsultationen (unter Teilnahme des Nato-Generalsekretärs in Sicherheitsfragen) nicht auf eine höhere politische Ebene heben, indem etwa die amerikanische Außenministerin und andere Kabinettsmitglieder wie Finanz- oder Umweltminister etc. mehrmals jährlich an den Sitzungen der entsprechenden EU-Räte teilnehmen? Warum nicht ein regelmäßiges jährliches Treffen zwischen dem Europäischen Rat und dem US-Präsidenten?

Ebenso wären regelmäßige Treffen zwischen den Fachausschüssen von amerikanischem Repräsentantenhaus und Senat und dem Europäischen Parlament von großer Bedeutung, da am Ende (zumeist) die Parlamente internationale Verträge ratifizieren müssen. Das Schicksal des Kyoto-Protokolls sollte allen Beteiligten eine Lehre sein.

Neue Gemeinsamkeiten und mehr gemeinsame Verantwortung setzen einen neuen Prozess der Kooperation und Koordination über den Atlantik hinweg voraus. Und ein solcher Prozess kann jederzeit im Rahmen der bestehenden Verträge und Institutionen angestoßen werden. Es bedarf dazu nur der Kreativität und des politischen Willens aller Beteiligten.

Eine Gewissheit kann man in Europa aber bereits heute aus dem US-Wahlkampf mit nach Hause nehmen: Mit jenem bequemen weltpolitischen Windschattenfahren der Europäer wird es bei einer mehr multilateral ausgerichteten amerikanischen Außenpolitik sehr schnell vorbei sein. Und das ist gut so. Mehr Mitentscheidung gegen mehr Mitverantwortung – so sollte die neue transatlantische Formel lauten.

Montag, 7. Januar 2008

Und jetzt Afghanistan!

Von Joschka Fischer

Die Krise in Pakistan und die Gefahren in Afghanistan bilden einen Gesamtkomplex. Neue Initiativen vom Typ Petersberg sind nötig - jetzt, und nicht erst nach der Wahl in den USA.

Es steht gegenwärtig nicht gut um Afghanistan. Die chaotischen Ereignisse in Pakistan werfen auch die Frage nach der Zukunft seines westlichen Nachbarn Afghanistan auf, das wie kein anderes Land in der Region von der Entwicklung in Pakistan beeinflusst werden wird.

Die Gefahr, dass sich beide Staaten zu einem geopolitischen schwarzen Loch von Destabilisierung und Terrorismus (mit brisantem nuklearem Risiko!) entwickeln, ist aus heutiger Sicht keineswegs mehr nur eine überspannte finstere Utopie.

Im Süden und Osten Afghanistans werden die Taliban militärisch stärker. Die Zahl der Selbstmordattentate und Sprengstoffanschläge hat sich überall im Land vervielfacht, und die Legitimation der Zentralregierung in Kabul unter Präsident Karsai hat weiter abgenommen. Der Aufbau der afghanischen Polizei hat sich (unter deutscher Führungsverantwortung, die mittlerweile von der EU übernommen wurde) zu einem Desaster entwickelt, der Rauschgiftanbau und -export haben ebenfalls kontinuierlich zugenommen, und in den umkämpften Gebieten stockt der Wiederaufbau.

Dennoch darf man bei all diesen negativen Entwicklungen das bisher Erreichte nicht vergessen. In weiten Teilen des Landes ist der Wiederaufbau vorangekommen und das Grauen von Krieg und Bürgerkrieg wurde dort nach mehr als zwei Jahrzehnten durch die westliche Militärintervention beendet.

In Afghanistan wurden über viele Jahre hinweg nicht nur die inneren Konflikte bewaffnet und auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen, sondern auch globale und vor allem regionale Machtkämpfe. Zudem war das Land über lange Zeit hinweg der Organisations-, Trainings- und Rückzugsraum der Terrororganisation al-Qaida. Ohne die militärische Präsenz von USA, Nato und UN und ohne die internationale Wiederaufbauhilfe würde das Land sehr schnell wieder zum Opfer von widerstreitenden regionalen Interessen und damit erneut von Krieg und Bürgerkrieg werden. Militärische Präsenz und Aufbauhilfe zu beenden hieße nicht nur, sehenden Auges eine erneute humanitäre Katastrophe in Kauf zu nehmen, sondern ebenso eine weitere regionale Destabilisierung und einen triumphalen Sieg des islamistischen Terrorismus.

Es geht also politisch wie auch humanitär um sehr viel in Afghanistan. Deswegen wird der Westen dort eines langen Atems bedürfen, denn das Land wird noch einen weiten Weg zurückzulegen haben, bis regional und national auch nur annähernd stabile, für die Mehrheit der Bevölkerung erträgliche Verhältnisse erreicht sein werden. Afghanistan wird daher für eine lange Zeit noch von internationalem militärischen Schutz und internationaler Wiederaufbauhilfe abhängen.

Afghanistan ist nicht Irak – noch nicht, muss man leider hinzufügen, wenn die Verantwortlichen in der Nato und vor allem in den nationalen Regierungen und Parlamenten die Dinge weiter in die falsche Richtung treiben lassen. Allerdings sind die Chancen nach wie vor gut, in Afghanistan erfolgreich zu sein, wenn man realistischen Zielen folgt: vor allem auf eine funktionierende Zentralregierung zu setzen, die das Land zusammenhalten kann; auf afghanische Sicherheitskräfte, die den Terror zurückdrängen können; und auf eine verstärkte Anstrengung zum Wiederaufbau, der alle Provinzen des Landes umfassen muss und auch auf mittlere Sicht den Bauern eine Alternative zum Drogenanbau eröffnen muss.

Anders als im Irak war der Krieg gegen das Talibanregime in Kabul nach dem 11. September 2001 unvermeidbar, denn dort befanden sich die Kommandozentrale und die Ausbildungszentren der Terrorgruppe al-Qaida. Für den Krieg gegen die Taliban bedurfte es keiner fingierten Kriegsgründe, und er fand eine einstimmige Unterstützung im UN-Sicherheitsrat sowie eine breite Billigung in der internationalen Öffentlichkeit.

Die Nato hat in Afghanistan die militärische Sicherung übernommen und zahlreiche europäische Staaten sind dort mit ihrem Militär im Einsatz. Mit dem Erfolg oder Misserfolg der Afghanistan-Mission des Bündnisses wird auch über dessen Zukunft entschieden. Afghanistan ist, gemeinsam mit dem Kosovo, der größte und wichtigste Einsatzort der Bundeswehr außerhalb Deutschlands, und ganz gewiss ist Afghanistan zugleich der mit Abstand gefährlichste Einsatzort für deutsche Soldaten.

Was sind nun die Ursachen für die anhaltende Verschlechterung der Lage in Afghanistan?

1) Afghanistan ist ein doppeltes Opfer jener katastrophalen Fehlentscheidung der Regierung Bush namens Irakkrieg. Kaum waren die Taliban aus Kabul vertrieben, setzte die Regierung Bush andere Prioritäten als die Befriedung und den Wiederaufbau des Landes. Mit dem Aufmarsch der USA gegen Saddam Hussein wurde Afghanistan zu einem vergessenen Nebenschauplatz. Militärische und finanzielle Ressourcen wurden aus dem Land am Hindukusch abgezogen und auf der Agenda der weltpolitischen Prioritäten wurde es zu einem nachrangigen Konflikt herabgestuft. Entsprechend mangelte es an Investitionen in die Sicherheit und in den Wiederaufbau des Landes. Der Preis für diese verfehlte Politik ist heute zu bezahlen.

2) Mit dem sich entwickelnden Desaster der USA im Irak begann man im wichtigsten Nachbarland Afghanistans, in Pakistan, die strategische Lage in der Region neu zu bewerten. Pakistan sah Afghanistan immer als seine Einflusszone an und betrachtet eine ihm freundlich gesonnene Regierung in Kabul als Teil seines nationalen Interesses. Mit dem Fall des Taliban-Regimes hat Pakistan aber diese Einflusszone und damit auch strategische Tiefe gegenüber seinem großen Nachbarn Indien verloren.

Die pakistanische Regierung wollte die mit der strategischen Schwäche der USA sich auftuende Möglichkeit nutzen, das für sie negative Ergebnis der US-Intervention im Nachbarland aus dem Herbst des Jahres 2001 zu ihren Gunsten zu revidieren. Dies führte zu einer faktischen Kündigung der Vereinbarung vom Bonner Petersberg, auf die der neue Regionalkonsens seit dem Sturz der Taliban gründete, und damit einhergehend zur Revitalisierung der Taliban durch den pakistanischen Geheimdienst ISI. Ohne diese Unterstützung hätten die Revolte der neuen Taliban niemals ihre heutige Stärke erreichen können.

3) Der Westen und vor allem die Nato sind unentschlossen und folgen keiner einheitlichen Strategie. Als die Taliban ihre Offensive im Süden Afghanistans begannen und innerhalb weniger Monate vor allem das kanadische Militär hohe Verluste erlitt, da war es ein großer Fehler der Nato gewesen, dass sie nicht sofort ge- und entschlossen reagiert hatte.

Stattdessen hielten zahlreiche europäische Mitgliedstaaten (vorneweg Deutschland und Frankreich) an ihren nationalen Vorbehalten fest, die auf nichts anderes hinausliefen als auf die Verweigerung der militärischen Solidarität und gemeinsamen effizienten Handelns. In der Region wurde diese Botschaft der Schwäche wohl verstanden. Hinzu kommen noch erhebliche Defizite beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und bei der Größe der dringend benötigten Aufbauhilfe.

Als Kanada damals im Bündnis um Unterstützung bat, wurde durch das Festhalten der wichtigsten europäischen Mitgliedstaaten an ihren nationalen Einsatzvorbehalten zugleich die Gelegenheit vertan, im Bündnis eine Debatte herbeizuführen, welche die USA zu einem Überdenken ihrer bisherigen Militärstrategie hätten veranlassen können.

Wenn der Westen Afghanistan nicht ohne Not verloren geben will, so muss ein neuer regionaler Konsens unter allen Nachbarn erreicht werden. Dies wird nur unter der entschlossenen Führung des Westens auf einer neuen internationalen Konferenz im Petersberg-Format zu erreichen sein.

Pakistan (und nicht Iran) wird sich dabei als der entscheidende Stabilisierungs- oder Destabilisierungsfaktor für Afghanistan erweisen.

Zudem wird es dringend eines Nato-Gipfels bedürfen, der eine gemeinsame Strategie ohne nationale Vorbehalte festlegt. Die Bush-Regierung ist dazu bereits zu schwach, aber spätestens der nächste Präsident wird auf diesem gemeinsamen Vorgehen des Bündnisses bestehen. Zudem kann es keine gemeinsame erfolgreiche Afghanistan-Politik geben, ohne nicht über eine gemeinsame Politik gegenüber Pakistan zu verfügen. Daher wird die Frage, wie man in der Nato die Zukunft und Rolle Pakistans sieht, ebenso wenig ausgeklammert werden dürfen wie ein verstärkter indisch-pakistanischer Interessenausgleich in der Region.

Die Europäer wären klug beraten, für eine solche gemeinsame Strategie und ein neues Petersberg bereits heute die Initiative zu ergreifen und nicht abzuwarten, bis Washington das nach der Wahl eines neuen Präsidenten tun wird. Wer die Initiative ergreift, kann gestalten, wer hingegen sich wegduckt, der darf dann lediglich noch nachvollziehen, was andere ihm vorgeben werden.

Mittwoch, 2. Januar 2008

Tragödie Pakistan

Von Joschka Fischer

Die Krise der islamischen Atommacht ist nicht nur politisch. Sie hat soziale und konstitutionelle Ursachen. So lange diese nicht beseitigt sind, droht die Eskalation

Politisch begann das Jahr 2008 fünf Tage vor seinem kalendarischen Anfang. Denn das Attentat auf Benazir Bhutto schließt nicht das Jahr 2007 ab, sondern eröffnet vielmehr die politische Krisenagenda des Jahres 2008. Dieser politische Mord, so ist zu befürchten, wird verheerende Konsequenzen für die Stabilität der Atommacht Pakistan und damit auch ihres Nachbarn Afghanistan haben.

Die US-Regierung hatte diplomatisch sehr viel in die Rückkehr von Benazir Bhutto nach Pakistan investiert. Die Führerin der Pakistanischen Volkspartei (PPP) sollte als Kandidatin der Opposition den für den 8. Januar 2008 angesetzten Parlamentswahlen einen demokratischen Charakter verleihen.

Dem angeschlagenen Militärregime unter Präsident Pervez Musharraf sollte damit eine neue demokratische Legitimation verschafft und zugleich die Modernisierung des Landes, gemeinsam mit Musharraf, vorangebracht werden.

Neben dem Irak ist Pakistan, gemeinsam mit Afghanistan, gegenwärtig die zweite Hauptfront der USA im so genannten „Krieg gegen den Terror.“ Pakistan ist in diesem „Krieg“ - nach Saudi-Arabien - einerseits wichtigster regionaler Bündnispartner der USA, andererseits ist es zugleich eine der gefährlichsten Brutstätten des islamistischen Terrorismus.

Mit der Ermordung Benazir Bhuttos ist die amerikanische Politik einer demokratischen Öffnung und eines damit einhergehenden Legitimationsgewinns für die Herrschaft Präsident Musharrafs gescheitert. Alternativen sind nicht in Sicht.

Präsident Musharraf hatte zuvor mittels eines zweiten Militärputsches einen absehbaren Einspruch des obersten Gerichtshofs des Landes gegen seine Wiederwahl aus dem Weg geräumt und damit eine weitere Amtszeit als Präsident seines Landes gesichert. Die USA hatten ihn wie auch Bhutto zu einem Machtkompromiss „überredet,“ der Musharraf die Präsidentschaft, Benazir Bhutto aber nach den Wahlen die Rolle der Premierministerin hätte bringen sollen. Ob dieses Konstrukt tatsächlich jemals funktioniert hätte, wird man nun niemals mehr wissen. Man darf dies aber mit guten Gründen bezweifeln.

Mit der Ermordung Benazir Bhuttos starb eher eine Hoffnung auf Modernisierung und Demokratie als eine mögliche Realität, denn auch an ihrer Person und Politik gab es auf Grund der mit ihr als zweimaliger Premierministerin des Landes gemachten Erfahrungen ernste Zweifel. Sie war aber die einzige Hoffnung auf einen Ausweg aus der pakistanischen Krise, und das allein zählt.

Ein denkbarer Versuch, Benazir Bhutto nun durch den Führer der die kommenden Wahlen boykottierenden Muslimliga, den früheren Premierminister Nawaz Sharif zu ersetzen, wäre allerdings noch weniger Erfolg versprechend, da eine Modernisierung des Landes mit Sharif noch fragwürdiger sein dürfte als dies mit Benazir Bhutto der Fall gewesen wäre.

Ohne Benazir Bhutto und die durch sie verkörperte Hoffnung tut sich in Pakistan jetzt ein Abgrund auf, denn Musharraf und sein Militärregime verlieren zunehmend an Legitimation.

Die eigentlichen Gewinner dieser Tragödie werden die radikalen Islamisten sein.

Jenseits der terroristischen Destabilisierung und des wachsenden Legitimationsverlustes der Militärregierung sind es vor allem drei strukturelle Faktoren, die eine Modernisierung und Demokratisierung des Landes gegenwärtig nahezu aussichtslos erscheinen lassen:

1) Nach 1977 betrieb der Militärdiktator Zia ul-Haq systematisch die Islamisierung des Landes. Pakistan begann sich in jener Zeit entscheidend zu verändern. Damals entstand jene Verbindung eines antiwestlichen Nationalismus mit einem radikalen politischen Islam, die bis heute nicht nur Teile des Militärs und vor allem des allmächtigen Geheimdienstes ISI (Interservice Intelligence) beeinflusst, sondern auch den Nährboden für eine wachsende Radikalisierung der islamistischen Gruppen und Parteien liefert.

Aus dieser Verbindung sind jene Gespenster der pakistanischen Krise hervorgegangen, die das Land bis heute heimsuchen und die offensichtlich täglich stärker werden. Es handelt sich dabei nicht nur um Taliban und al Quaida, sondern auch - und vor allem - um sehr einflussreiche, antiwestliche Kräfte im ISI und Militär. Sie halten das Land bisher im Griff.

2) Sozial wird das Land nach wie vor von einer Schicht quasi-feudaler Großgrundbesitzer dominiert, die sich bisher erfolgreich jeder Reform widersetzt haben. Der eigentliche Grund für die Gründung Pakistans, so lautet eine verbreitete These, sei nicht der Konflikt zwischen Hindus und Moslems und damit die Religion gewesen, sondern vielmehr die Angst der Großgrundbesitzer in Sind und Punjab vor einer Landreform nach der Unabhängigkeit von Großbritannien. Bis heute hat sich an diesen spätfeudalen Eigentumsverhältnissen auf dem Land nahezu nichts geändert. Das Ausbleiben der Landreform ist ein entscheidendes Modernisierungshemmnis.

3) Die Armee hat sich seit der Gründung Pakistans zu einem Staat im Staate entwickelt, der nicht nur faktisch über das Machtmonopol verfügt, sondern zugleich auch mittels zahlreicher eigener Unternehmen das Land wirtschaftlich beherrscht. Diese Tatsache macht einen Rückzug der Armee in die Kasernen und eine Teilung der Gewalten fast unmöglich, denn es geht eben nicht nur um die politische Macht. Ein solcher Rückzug würde darüber hinaus den ökonomischen und sozialen Status des Militärs gefährden und käme einer kleinen sozialen Revolution gleich.

In dieser Gleichsetzung von Staat, Wirtschaft und Militär in Pakistan liegt auch ein wesentlicher Grund (nicht der alleinige!), weshalb es in dem jahrzehntelangen Konflikt mit Indien um Kaschmir bisher nicht zu einem Kompromiss gekommen ist. Die pakistanische Armee braucht offensichtlich diesen Konflikt mit dem großen Nachbarn, um ihre Rolle und Privilegien rechtfertigen und verteidigen zu können.

Während Indien sich seit der gemeinsamen Unabhängigkeit zu einer Demokratie mit einer funktionierenden Gewaltenteilung entwickelt hat, in der das Militär keine politische Rolle spielt, gilt für Pakistan das genaue Gegenteil. Pakistan entwickelte sich zu einer Militärdiktatur, in der gilt, dass es völlig egal ist, ob das Militär direkt herrscht oder eine Zivilregierung im Amt ist, denn die Entscheidungsgewalt bleibt letztlich immer bei den Militärs.

Pakistan ist heute eine der Hauptquellen des islamistischen Radikalismus, ja Terrorismus - und zugleich Atommacht. Allein diese Kombination ist ein Albtraum. Jetzt aber wird die zugrunde liegende soziale und konstitutionelle Krise sichtbar. Denn in seiner gegenwärtigen Verfasstheit scheint das Land nur noch über schwache Abwehrkräfte gegen eine weitere Radikalisierung und Chaotisierung zu verfügen.

Der eigentliche Kern der aktuellen pakistanischen Krise ist der galoppierende Legitimationsverlust des Militärregimes bei gleichzeitig fehlender demokratischer Modernisierungsalternative. Der Mord an Benazir Bhutto hat diese pakistanische Tragödie für alle Welt sichtbar gemacht.

Wer darauf vertraut, dass das Militär das Land auch weiter im Griff halten werde, sei an die Erfahrungen mit der Militärdiktatur von Reza Pahlewi in Iran erinnert. Aus diesem Beispiel kann man lernen, dass die Macht der Bajonette mit schwindender oder gar völlig ohne Legitimation nicht von Dauer ist. Auf Pahlewi folgte die islamische Revolution.

Ein kurzfristiger Ausweg aus der pakistanischen Tragödie ist angesichts dieser Fakten nur schwer vorstellbar. Eine oberflächliche Demokratisierung, die ansonsten aber die strukturellen Ursachen der pakistanischen Krise unangetastet lässt, wird nicht ausreichen, um die Krise zu entschärfen.

Bei meinem letzten Besuch in Indien vertrat ein kluger indischer Journalist, der selbst Muslim ist, die These, dass in Pakistan nicht eine Demokratisierung an erster Stelle zu stehen habe, sondern dieser eine Landreform und eine neue Verfassung vorausgehen müsse. Denn der Kern der pakistanischen Krise sei eine konstitutionelle und soziale Krise und ohne deren Lösung würde jede demokratische Reform scheitern müssen.

Aber wenn die oben angeführte These zutrifft (was ich fürchte), dann wird ein Ausweg aus dieser Krise in überschaubarer Zeit fast unmöglich sein. Es spricht daher alles dafür, dass das Militärregime fortdauert, dass in seinem Schatten die islamistische Radikalisierung weiter voranschreiten wird und die Atommacht Pakistan zunehmend in die Unregierbarkeit und ins Chaos abrutschen wird. Ob dagegen eine Strategie des Containments als Alternative eingesetzt werden kann, wird eine der gleichermaßen drängenden wie schwierig zu beantwortenden Fragen des kommenden Jahres sein.