Montag, 26. November 2007

Ein Frieden der Schwachen?

Von Joschka Fischer

Nahost-Konferenz in Annapolis: Entweder wird ein gefährdeter Kompromiss gefunden, oder das Verhängnis schreitet fort

Die Einladungen sind vor einigen Tagen versandt worden. Und so wird am Dienstag dieser Woche in Annapolis, ganz in der Nähe der Hauptstadt der USA, eine Nahostkonferenz zusammentreten. Über vierzig Regierungen und internationale Organisationen sind dazu eingeladen. Präsident George W. Bush versucht mit dieser Initiative in seinem letzten Amtsjahr eine Lösung jenes gleichermaßen alten wie gefährlichen Konflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, vor allem aber mit den Palästinensern.

Mit der nur wenige Tage dauernden Konferenz von Annapolis soll (wenn es gut läuft, was alles andere gesichert ist) ein Ausweg aus dem Treibsand des Nahostkonflikts gefunden und dann gegangen werden. Die Verhandlungen für eine Endstatusvereinbarung - und nur sie allein kann die Voraussetzungen für den Übergang von einem Jahrzehnte anhaltenden heißen Krieg zu einem kalten Frieden zwischen den Konfliktparteien schaffen – werden danach allerdings sehr viel mehr Zeit beanspruchen.

Sollte Annapolis allerdings direkt oder indirekt scheitern, also ergebnislos auseinander gehen oder nur in leeren Versprechungen enden, so wird sich der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verschärfen und die Konfrontation verstärken. Denn durch ein negatives Ergebnis würden diejenigen auf beiden Seiten gestärkt, welche die Konfrontation fortsetzen und verschärfen wollen.

In den Verhandlungen in Annapolis geht es um die Einleitung von Endstatusverhandlungen, also um eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina, welche den Krieg zweier Völker um dasselbe Land durch einen historischen Kompromiss endlich beenden soll. Diese Verhandlungen werden sich vor allem auf die Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates konzentrieren, auf seine Grenzen und Institutionen, auf die israelischen Siedlungen, auf Sicherheit für beide Seiten, auf Jerusalem und seine heiligen Stätten, auf das Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge und auf die Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten.

Genau an diesem Punkt der Verhandlungen standen die USA bereits schon einmal. Sieben Jahre sind inzwischen vergangen und politisch auch vertan worden, seitdem ein anderer amerikanischer Präsident, Bill Clinton, ebenfalls in seinem letzten Amtsjahr, ernsthaft versucht hatte, mit der ganzen Macht der USA diesen Konflikt zu beenden. Leider war Clintons Initiative in Camp David an der Unnachgiebigkeit der Konfliktparteien – vorneweg Yassir Arafats - und an der unzureichenden amerikanischen Vorbereitung dieser Konferenz gescheitert.

Präsident Clinton lief damals die Zeit davon, und der von Anfang an begrenzte Zeithorizont wird auch diesmal eines der großen Probleme der Regierung Bush sein. Es bleibt zu hoffen, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Präsident Bush dessen Fehler aus dem Jahre 2000 nicht wiederholen und stattdessen dessen Initiative bruchlos fortsetzen wird.

Eine hypothetische Frage sei angesichts der nun beginnenden Nahostkonferenz erlaubt: Wo stünde der Nahe Osten heute, wenn George W. Bush die Initiative Bill Clintons fortgeführt oder zumindest nach dem 11. September 2001 und nach Afghanistan wieder aufgenommen hätte? Wenn er also, statt den fatalen Fehler eines Einmarsches in den Irak zu begehen, seine ganze Kraft auf einen schwierigen Kompromiss im Nahostkonflikt konzentriert hätte? Die Lage im Nahen Osten wäre heute ohne jeden Zweifel unvergleichlich besser und der Westen sicherer.

Stattdessen hängen die USA im Irak militärisch fest. Sie können dort weder gehen noch bleiben, jede Option erweist sich als falsch. Und diese Politik hat zudem Iran in eine regionale Position der Stärke geschoben, die das Land aus eigener Kraft niemals hätte erreichen können.

Der Weg nach Jerusalem führe über Bagdad, lautete damals das Dogma der Regierung Bush und bis heute der Neokonservativen innerhalb und außerhalb der Regierung. Erst das offensichtliche Scheitern dieser realitätsblinden Strategie machte dann sehr spät den Weg für einen (ganzen oder lediglich halben?) Strategiewechsel frei. Wie ernsthaft dieser Strategiewechsel tatsächlich angelegt ist, werden aber erst die kommenden Monate zeigen. Denn anders als zur Zeit Clintons verhandelt heute nicht der Präsident selbst, sondern seine Außenministerin.

Condoleezza Rice und das State Departement sind voll engagiert, aber gilt dies auch für den Präsidenten und vor allem seinen mächtigen Vizepräsidenten? Hat man sich dort tatsächlich von der gescheiterten Strategie des „Über Bagdad nach Jerusalem“ verabschiedet? Daran bestehen nach wie vor erhebliche Zweifel und das schwächt diese neue Friedensinitiative.

Die USA brauchen für den Nahen und Mittleren Osten eine völlig neue Regionalstrategie, um eines Tages aus dem Irak abziehen zu können, ohne dass das Land zerfällt und die Region endgültig in ein Chaos mit unabsehbaren Folgen rutscht. Und genau dafür wäre eine Friedenslösung im israelisch-palästinensischen Konflikt unter Einschluss von Syrien und Libanon der geeignete Ausgangspunkt.

Zudem eröffnet sich ironischer Weise gerade durch die drohende hegemoniale Dominanz des Iran eine neue Lage. Denn die meisten arabischen Staaten, vorneweg Saudi-Arabien und die Golfstaaten, haben nahezu existenzielle Ängste vor einer regionalen Hegemonialmacht Iran. Die Feindschaft gegen Israel hat im Vergleich dazu erheblich an Bedeutung verloren und ist stattdessen einer - öffentlich nicht ausgesprochenen Interessengleichheit - angesichts der iranischen Herausforderung gewichen. Israel und die gemäßigten arabischen Staaten sehen sich in Zukunft einer gemeinsamen Bedrohung namens Iran gegenüber, und diese völlig neue Mächtekonstellation in der Region eröffnet eine einmalige Chance für eine Lösung des Nahostkonflikts.

Freilich sind auch die Schwierigkeiten und Widerstände gewaltig, die einer Lösung des Konflikts entgegenstehen: der enge Zeitrahmen; die innen- und weltpolitische Schwäche der Regierung Bush durch das absehbare Ende ihrer Amtszeit und die Folgen des Irakkriegs; und schließlich die innenpolitische Schwäche der beiden Hauptakteure, des israelischen Premierministers Ehud Olmert und des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas.

Angesichts dieser dreifachen dramatischen Schwäche der Regierungen in Washington, Jerusalem und Ramallah fällt es daher von einem realistischen Standpunkt aus gesehen sehr schwer, an einen Erfolg des in Annapolis einzuleitenden Prozesses zu glauben.

Olmerts Spielräume für Kompromisse in der Sache sind in seiner Partei und vor allem in seiner Koalition extrem klein bis nicht vorhanden. Sollte er es dennoch versuchen, so droht seine Koalition zu scheitern. Und Abbas hat in den vergangenen Monaten zweimal gegen die Hamas verloren: in freien und geheimen Wahlen und im palästinensischen Bürgerkrieg in Gaza. Bei ihm stellt sich noch sehr viel mehr als bei Olmert die Frage, für wen er noch spricht.

An der Fähigkeit beider, das liefern zu können, was die jeweils andere Seite in diesem Friedensprozess unbedingt braucht, muss also gezweifelt werden. Andererseits verfügen aber Olmert und Abbas über ein fast identisches innenpolitisches Interesse. Sie wollen ihre Lage zuhause durch einen vorzeigbaren Fortschritt im Friedensprozess verbessern. Olmert möchte dadurch die nächsten Wahlen gewinnen und Abbas will mittels einer Volksabstimmung erneut die Oberhand über Hamas gewinnen.

Ganz offensichtlich beabsichtigt man in Annapolis einen Prozess einzuleiten, der die Ergebnisse der gescheiterten Verhandlungen von Camp David und dem ägyptischen Badeort Taba Ende 1999 mit der Vorgehensweise der 2002 erarbeiteten „Road Map“ verbinden soll: Keine Tabus mehr in der Sache sondern eine Vereinbarung über den Endstatus, die dann aber schrittweise und nach Maßgabe der Fortschritte bei der Umsetzung der jeweiligen Abschnitte durch die Konfliktparteien umgesetzt werden soll.

Diese Vorgehensweise wird sich aber als die entscheidende Hürde des gesamten Prozesses erweisen. Bisher sind alle Friedensbemühungen an der Umsetzung gescheitert, denn beide Konfliktparteien waren in der Vergangenheit dazu nicht Willens oder in der Lage. Ein solcher Ansatz einer schrittweisen Umsetzung hat nur dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn die USA, nachdrücklich unterstützt von den anderen Mitgliedern des Quartetts (Europa, Russland, UN-Generalsekretär) und den moderaten arabischen Staaten (vor allem Saudi-Arabien), sich wirklich mit ihrer ganzen Macht engagieren.

Andererseits gibt es gegenwärtig keinen anderen Ansatz zur Reaktivierung des Friedensprozesses; zu wählen ist nur zwischen diesem und der Fortsetzung der Tragödie. Und noch etwas ist gewiss: Die Gegner und Feinde eines Friedens im Nahen Osten werden umso weniger Ruhe geben, je mehr dieser Prozess erfolgreich zu werden verspricht. Auch darauf wird man sich einstellen müssen.

Die Palästinenser befinden sich bereits heute im Bürgerkrieg und auch in Israel wird im Fall eines wirklichen Kompromisses mit den Palästinensern die innenpolitische Lage mehr als heftig werden.

Realistischerweise sehen die Voraussetzungen für Annapolis also ziemlich düster aus. In der Vergangenheit sprach man im Nahen Osten immer davon, dass ein Friede in dieser Region nur „ein Friede der Starken“ sein könne. Dieser „Friede der Starken“ ist aber in Camp David und Taba gescheitert. Jetzt unternehmen ganz offensichtlich Schwache einen erneuten Versuch.

Ein erfolgreicher „Friede der Schwachen“ wäre angesichts der politischen Umstände nichts weniger als ein Wunder. Aber im Nahen Osten soll es, so die Fama, in der Vergangenheit durchaus Wunder gegeben habe – sehr viele blaue und dann und wann sogar ein wirkliches.