Montag, 12. November 2007

Gegen die Wand

Von Joschka Fischer

Pakistans Krise ist ein Menetekel für die westliche Politik. Stabilität entsteht nicht durch die Unterstützung des Diktators

Unsereins lernte noch anhand eines Gedichtes von Friedrich Schiller, dass sich im alten Babylon finstere Ereignisse per Flammenschrift an der Wand anzukündigen pflegten. In unseren Tagen bedarf es dazu allerdings keines jenseitigen Aufwandes mehr, sondern es reicht der tägliche Blick in die Nachrichten. Blicken wir nur auf die vergangenen zwei Wochen zurück:

Am östlichen Rand des nah- und mittelöstlichen Krisenbogens kam es in Pakistan zum zweiten Putsch des Generals Musharraf; im Westen dieser großen Region drohte eine Ausweitung des Konflikts im Irak durch einen militärischen Einmarsch der Türkei; in den USA wird die Rhetorik der Neokonservativen innerhalb und außerhalb der Regierung Bush, die zu einem militärischen Angriff auf Iran aufrufen (Dritter Weltkrieg! Vierter Weltkrieg! Wer wird es denn auch so genau nehmen wollen?), immer hitziger und militanter; und zur selben Zeit durchbrach der Preis für das Barrel Öl die 100-Dollar-Marke. Man könnte noch die Lage im Irak, in Afghanistan, im Libanon oder auch im israelisch-palästinensischen Konflikt hinzufügen, um das deprimierende Bild vom Zustand dieser krisengeschüttelten Region zu vervollständigen.

All diese Ereignisse und Krisen böten auch dann Anlass zur Sorge, wenn man in den westlichen Hauptstädten, vorneweg in Washington, Klarheit in der Analyse, Realismus in der Strategie und Geschlossenheit im Handeln unterstellen dürfte. Genau davon darf man aber nicht ausgehen. Und genau deswegen nehmen die Nachrichten aus der Region zwischen Indus und der Ostküste des Mittelmeers mehr und mehr den Charakter eines Menetekels für die westliche Politik an.

Der Blick zurück ist in dieser Lage lehrreich. Nimmt man den 11. September 2001 als Bezugsdatum, so wird klar, dass die Position des Westens seither keinesfalls gestärkt wurde, obwohl er an Ressourcen, Fähigkeiten und Legitimation allen Widersachern weit überlegen ist. Aber beklagenswerter Weise verhält sich die Anzahl der Fehler der westlichen Politik in den vergangenen sechs Jahren proportional zu seiner Überlegenheit, und darin liegt das eigentliche Problem. Das neokonservative Weltkriegsgetöse verdeckt die Tatsache, dass seit der verhängnisvollen Entscheidung von Präsident Bush, in den Irak einzumarschieren, der Westen faktisch eine Strategie der Selbstschwächung betreibt. Die westliche Politik in dieser Region läuft daher ernsthaft Gefahr, gegen die Wand zu fahren.

Ein Osama bin Laden hingegen kann sich behaglich den Bart streichen, wenn er den Gang der Ereignisse betrachtet, denn die Entwicklung läuft in seine Richtung. Radikalisierung, Terror und Chaos greifen in der gesamten Region um sich. Und genau das war das strategische Ziel der Terrorattacken vom 11. September 2001.

Analysieren wir die Ereignisse in Pakistan etwas näher: Mit dem erneuten Militärputsch von Musharraf droht nunmehr auch diese Nuklearmacht mit fast 200 Millionen Menschen in Richtung eines gescheiterten Staates wegzurutschen. Musharrafs Putsch richtete sich gegen den wachsenden Druck der demokratisch-zivilgesellschaftlichen Opposition und eben nicht gegen die islamistischen Radikalen, die mehr und mehr zu afghanischen Taliban werden. Objektiv war dies also ein anti-westlicher Militärputsch, da er sich gegen die Kräfte der Demokratie, des Rechts und der Modernisierung in Pakistan richtete.

Zudem wurde er aus der Schwäche des Militärregimes geboren, und das macht seine Folgen so gefährlich für die Zukunft des Landes und der Region. „Schwäche“ heißt in diesem Fall ein zunehmendes Legitimationsdefizit Präsident Musharrafs und der Herrschaft des Militärs. Genau dieser Mangel an Legitimation wird aber durch den Putsch verstärkt und nicht verringert.

Die eigentlichen Gewinner dieser Konfrontation werden die Radikalen sein. Pakistan und sein Geheimdienst ISI hatten über Jahre hinweg die afghanischen Taliban aufgebaut, ausgerüstet und gefördert. Nunmehr gerät es aber zunehmend in die Rolle des Zauberlehrlings, dem sein Besen außer Kontrolle geraten ist. Denn mittlerweile haben sich „pakistanische Taliban“ entwickelt, die in den Grenzgebieten zu Afghanistan und zunehmend auch im Norden des Landes über „befreite Gebiete“, also über eine territoriale Rückzugsbasis, verfügen. Und diese Entwicklung hält an.

Zudem bleibt es eine offene und wichtige Frage, wie weit und wie tief der Einfluss der pakistanischen Taliban in das Militär und in den ISI hineinreicht. Die in Pakistan kursierenden Informationen darüber geben wenig Anlass zu Hoffnung. Die militärische Unterdrückung des Aufstands in der Roten Moschee in Islamabad vor einigen Monaten scheint zudem die islamistischen Radikalen eher gestärkt als geschwächt zu haben, wie eine ganze Serie verheerender Attentate auf das Militär danach gezeigt hat. Und auch die Militäraktionen in den Nordwestprovinzen und in Belutschistan waren ein Fehlschlag und haben zu einer wachsenden Demoralisierung im Militär geführt.

Angesichts dieser jüngsten Ereignisse in Pakistan hat in den USA eine Diskussion begonnen, die mit viel Recht auf die Parallelität der Entwicklung in Pakistan mit der Entwicklung im Iran vor dem Sturz des Schahs von Persien im Jahr 1979 hinweist.

Heute wie damals war die fehlende Legitimation des Regimes dessen größte Schwäche; heute wie damals hat der Westen das Regime unterstützt, anstatt rechtzeitig auf eine demokratische Modernisierungsalternative zu setzen und zu ihrem Aufbau über die Jahre hinweg beizutragen; heute wie damals hatte er überhaupt kein Verständnis für die historische Kraft eines revolutionären Nationalismus in diesen Ländern, der sich zudem religiös aufgeladen hat; und heute wie damals wird der Westen und vor allem Amerika von einer wachsenden Mehrheit in diesen Ländern als die Kraft gesehen, die jene ins Wanken geratenen Regime mit mangelnder Legitimation an der Macht hält. Antiamerikanismus und der Hass auf den Westen wird dadurch zu einer weiteren Antriebsfeder eines revolutionären Nationalismus, und genau dies geschieht gegenwärtig ebenfalls in Pakistan.

Allerdings, Geschichte wiederholt sich nicht. Dies ist aber alles andere als eine beruhigende Erkenntnis, denn Pakistan verfügt über Atombomben und eine riesige Bevölkerung. Wenn dieses Land außer Kontrolle gerät, dann würde die iranische Revolution von 1979 dagegen nur einem milden Lüftchen gleichen. Und auch Afghanistan wäre dann endgültig verloren.

Der Einsatz, um den es in Pakistan regionalpolitisch und weltpolitisch geht, ist sehr hoch. Wenn der Westen nicht den Mut und die Einsicht aufbringt, jetzt, trotz aller Schwierigkeiten, auf die in Pakistan vorhandenen rechtsstaatlichen und demokratischen Kräfte zu setzen, die das Legitimationsdefizit des gegenwärtigen Regimes schließen können, dann werden eines nicht allzu fernen Tages die radikalen Islamisten das Vakuum füllen. Iran lässt grüßen. Auch deshalb ist jetzt die in Pakistan sichtbare und spürbare Solidarität des Westens mit all jenen Richtern, Rechtsanwälten und Journalisten - darunter sehr viele Frauen -, die von der Militärregierung ins Gefängnis geworfen werden, von entscheidender Bedeutung - anstelle von Solidaritätsadressen für Musharraf.

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