Montag, 24. Dezember 2007

Anbeginn einer neuen Ordnung

Von Joschka Fischer

Die alten Modelle der internationalen Politik haben ausgedient. Es entstehen neue Zentren und Abhängigkeiten. Joschka Fischer über einige Annahmen zum 21. Jahrhundert.

Der sich ankündigende Jahreswechsel bringt die üblichen politischen Rückblicke auf das ablaufende Jahr 2007 mit sich. Gerade für das Jahr 2007 aber empfiehlt sich ein etwas anderer Rückblick, der sich nicht in kalendarischer Folge auf die tagesaktuellen Ereignisse und Abläufe bezieht, sondern versucht, die strukturellen Veränderungen in den tieferen Schichten der internationalen Politik und Wirtschaft zu verstehen.

Unter diesem Gesichtspunkt war das Jahr 2007 überaus ertragreich, denn in ihm drängten strukturellen Veränderungen aus den tieferen Schichten der internationalen Entwicklung an deren Oberfläche und formten sichtbar und erfahrbar den politischen Alltag. Eine neue Weltordnung (oder besser Weltunordnung?) wird dadurch sichtbar und harrt der politischen Gestaltung.

In der alten Weltordnung galt die Formel, dass die Globalisierung vor allem zum Vorteil des Westens sein und dessen Vorsprung vor dem Rest der Welt weiter vergrößern würde. Zwanzig Prozent der Menschheit (vor allem im Westen und in Japan zuhause) genossen die Segnungen des Konsumkapitalismus, während 80 Prozent davon ausgeschlossen waren.

Diese Formel aus den siebziger Jahren gilt heute schon lange nicht mehr. Die bipolare Welt des Kalten Krieges ist verschwunden und auch die unipolare Illusion der alleinigen globalen Vorherrschaft der USA von den Jahren von 1989-2005 hat sich im Desaster des Irakkrieges, des gewaltigen amerikanischen Staatsdefizits, der Abwertung des Dollars und der Immobilien- und Bankenkrise verflüchtigt.

Selbst in neokonservativen Kreisen greift nunmehr die Einsicht um sich, dass ein amerikanisches Imperium keine wirkliche Option ist, weil dessen globale Größe selbst die Kräfte der mit Abstand nach wie vor mächtigsten und reichsten Macht der Gegenwart überfordern würde.

Stattdessen wird mehr und mehr sichtbar, dass die globalen Machtachsen von Wirtschaft und Politik sich von West nach Ost verlagern. Einige Beispiele? Der Nuklearkonflikt auf der koreanischen Halbinsel ist ohne das aktive Engagement Chinas heute nicht mehr zu lösen (zu Präsident Clintons Zeiten war das noch völlig anders gewesen). In Afrika ist China heute bereits ökonomisch wie politisch die dominierende Macht und eine nicht mehr zu übersehende Alternative zum Westen. So ist etwa der Konflikt um Darfur im Sudan ohne China und Indien, den beiden wichtigsten Investoren in die sudanesische Ölindustrie, nicht mehr zu lösen.

Indien ist nicht nur auf dem Subkontinent, sondern zunehmend auch in Afghanistan, Iran, Zentralasien und wird übermorgen am Persischen Golf zu einem unverzichtbaren und in nicht allzu ferner Zukunft zu dem dominanten politischen Spieler.

Die Energie- und Rohstoffmärkte verlagern sich ebenfalls von West nach Ost und die anhaltend steigenden Preise signalisieren diese Veränderung. Deutschland wird im kommenden oder übernächsten Jahr endgültig und wohl für immer seine Position als globale Exportmacht Nummer 1 verlieren. Ökonomisch löst China Japan als größter Gläubiger der USA ab, während zugleich der amerikanische Markt für das chinesische Wachstum der entscheidende Motor ist.

Hätte man vor fünfzehn Jahren diese gegenseitige Abhängigkeit der kapitalistischen Supermacht USA von der kommunistischen Führungsmacht China prophezeit, so wäre man schlicht ausgelacht worden. Heute ist diese unmögliche Abhängigkeit aber zur Realität geworden, und es lacht niemand mehr.

Auch die Debatte über den Klimaschutz hat diese neue Abhängigkeit in einer globalisierten Welt sichtbar gemacht. Das globale Wachstum von tendenziell sieben Milliarden Menschen droht zu einer Überforderung des Ökosystems Erde zu führen. Militärische und wirtschaftliche Macht zählen angesichts dieser Bedrohung wenig bis gar nichts, wenn es nicht gelingt, die Mehrheit der Staaten von einer aktiven Klimaschutzpolitik zu überzeugen und Wege zu finden, dass sie sich aktiv daran beteiligen. Dies wird aber einen kooperativen Interessenausgleich unverzichtbar machen.

Misslingt dieser, so werden die Folgen global massiv zu spüren sein. Mag sein, dass die Reichen und Mächtigen sich dann noch eine gewisse Schonfrist erkaufen können, aber innerhalb kurzer Zeit werden die Folgen globaler Klimaveränderungen alle treffen.

Und auch die Entwicklung des Terrorismus zeigt, dass es in einer globalisierten Welt kein „weit weg“ mehr gibt. Sicherheit im 21. Jahrhundert wird anders definiert werden, als in den Epochen davor. Sicherheit wird fortan sehr viel stärker von Entwicklung, der Herrschaft des Rechts, der Beachtung der Menschenrechte, funktionierender Wirtschaft und staatlichen Institutionen, von Freiheit und einer starken Zivilgesellschaft abhängen, als von den Rüstungsausgaben. Kooperation statt Dominanz wird auch in der Sicherheitspolitik mehr und mehr zum Prinzip werden müssen, wenn man Erfolge erzielen will.

Sicherheit wird zwar heute im Verhalten der Staaten zueinander noch immer im Wesentlichen auf der Grundlage ihrer Interessen und ihrer Macht definiert. Das „Gleichgewicht der Mächte“ gilt heute, nach dem Ende der „unipolaren Phase,“ wieder mehr denn je. Dennoch ist dieses Prinzip historisch erschöpft und für die Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts und seiner globalen Abhängigkeiten nicht mehr tauglich. Die USA unter der Regierung Bush haben dies exemplarisch und mit fatalen Folgen für ihre eigenen Interessen demonstriert. Dieser Widerspruch ist eine der Hauptursachen für die gegenwärtige Schwäche des internationalen Systems und seiner Institutionen.

Der Satz des früheren britischen Premierministers Palmerston, dass Staaten keine dauerhaften Freunde oder Feinde hätten, wohl aber dauerhafte Interessen, reicht unter den Bedingungen der Globalisierung eben nicht mehr aus. Mehr und mehr wird dieser Satz von der Tatsache überlagert, dass Staaten zudem dauerhafte gemeinsame Interessen haben, das heißt ihre jeweiligen nationalen Interessen nur noch in Abhängigkeit von anderen und im Konsens mit anderen verwirklichen können.

Damit transformiert sich aber der klassische Begriff staatlicher Souveränität in eine transnationale Dimension, die objektiv einen Zwang zur Kooperation nach sich zieht. Auf diesem sich in der Gegenwart herausbildenden neuen Grundprinzip wird die neue internationale Ordnung entstehen.

Wie lange es allerdings dauern und wie viele Krisen, ja Katastrophen es brauchen wird, bis diese objektiven Veränderungen im internationalen System auch subjektiv und institutionell nachvollzogen werden, kann man nicht vorhersagen. Man kann sich lediglich an gemachten Erfahrungen orientieren.

Als das alte Europa mit den ersten Schüssen des I. Weltkriegs unterging, da dauerte es schließlich bis 1989, ja genauer sogar bis 1999, bis zum Ende des Kosovokrieges, bis sich in Europa mit Ausnahme Weißrusslands ein dauerhafter Frieden, die Herrschaft des Rechts, Demokratie und Freiheit durchgesetzt hatten. Nur welch einen furchtbaren Preis hatten die Europäer im 20. Jahrhundert dafür zu entrichten! Man kann nur hoffen, dass das 21. Jahrhundert sich als klüger erweisen wird, auch wenn wenig dafür spricht, dass sowohl Menschen wie auch Staaten und Gesellschaften jemals aus Schaden klug geworden sind.

Montag, 17. Dezember 2007

Der faule Kompromiss

Von Joschka Fischer

Wie geht es weiter nach Bali? Leider erst einmal wie gehabt

Erinnern Sie sich noch, verehrte Leserinnen und Leser, an den vergangenen Juni? An den G8-Gipfel in Heiligendamm? Ein bedeutender Beschluss zum Klimaschutz sei dort von den acht wichtigsten Industrieländern gefasst worden, so wurde damals amtlicherseits verlautbart. Und worin bestand nun dieser bedeutende Beschluss? Richtig, die dort versammelten acht Staaten versprachen, eine Halbierung der weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 „ernsthaft zu prüfen. “ Bedeutend war zwar nichts an diesem Beschluss gewesen, denn er hieß, in deutsche Alltagssprache übersetzt, nichts anderes als Vertagung, war also ein fauler Kompromiss. Aber mehr war mit den amerikanischen Gästen offensichtlich nicht drin.

Bereits in Heiligendamm war allen Kundigen klar, dass die erste wirkliche Weichenstellung nicht an den Gestaden der Ostsee, sondern auf der UN-Klimakonferenz in Bali im Dezember dieses Jahres stattfinden würde. Und die auf dem G8-Gipfel zutage getretene Blockadehaltung der USA legte zudem die Erwartung nahe, dass ohne ein erneutes transzendentes Erweckungserlebnis von Präsident George W. Bush die Konferenz von Bali an derselben Hürde scheitern könnte.

Ein offenkundiges Scheitern in Bali wurde nun in der Verlängerungszeit des UN-Klimagipfels in sprichwörtlich letzter Sekunde verhindert, und heraus kam ein Fahrplan für das weitere Vorgehen der Weltgemeinschaft, nicht mehr und nicht weniger. Bis 2009 sollen die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen von Kyoto zum internationalen Klimaschutz abgeschlossen werden, sodass es dann in den folgenden drei Jahren, bis zum Auslaufen von Kyoto im Jahr 2012, weltweit ratifiziert werden und in Kraft treten kann.

Was aber ist dieser Kompromiss von Bali nun tatsächlich wert? Wenn es nur um einen Fahrplan ging, warum dann die entnervenden Blockaden auf dieser Konferenz? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ging eben nicht nur um einen Fahrplan bis 2009, sondern bereits massiv um die Richtung und die Geschwindigkeit des internationalen Klimazuges. Davon ist in dem Dokument von Bali allerdings nicht mehr viel zu finden, denn hier haben sich die Bremser fast vollständig durchgesetzt. Unter dem Gesichtspunkt der Substanz des Dokuments erinnert es doch allzu sehr an Heiligendamm, an eine Vertagung also und damit erneut an einen faulen Kompromiss.

Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass der Klimaschutz nur global funktionieren wird, wenn sich also alle Nationen daran beteiligen, an erster Stelle die wichtigsten Klimaverschmutzer. Darüber hinaus droht dem Klimaschutz die Zeit davonzulaufen. Der Zeitfaktor wird auf Grund des hohen Wirtschaftswachstums in China, Indien und anderer großer Schwellenländer und der jahrzehntelangen, in manchen Fällen bis heute anhaltenden Untätigkeit der alten Industriestaaten zu einem immer dramatischeren Problem.

Zehn bis fünfzehn Jahren geben die Klimatologen der Weltgemeinschaft noch, wenn die von Menschen verursachten Klimaveränderungen zumindest begrenzt werden sollen. Allerdings gilt dies nur dann, wenn bis 2015 der Höhepunkt der Emissionen von Treibhausgasen überschritten sein wird. Darüber hinaus muss, so liest man es in den Berichten des UN-Klimarates, bis Mitte des Jahrhunderts der globale Ausstoß von Klimagasen gegenüber dem Stand von 1990 mehr als halbiert werden. Andernfalls, so sagen es die internationalen Klimaforscher, könnte der Punkt erreicht werden, der ein Zurück nicht mehr zulässt.

Und insofern ist das Ziel, die globalen CO2-Emissionen der großen Industriestaaten bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, eher ein absolutes Muss als ein ambitioniertes Maximalziel. (Die EU hat sich zwar auf dieses Ziel während der deutschen Ratspräsidentschaft politisch verpflichtet, aber seine konkrete Ausfüllung durch die EU- Kommission als auch seine Annahme durch die Mitgliedsstaaten sind bis heute nicht mehr als ein Versprechen.)

Liest man angesichts dieser Fakten den vor wenigen Wochen veröffentlichten „World Energy Outlook 2007“ der Internationalen Energieagentur (IEA), so kann einen die Lektüre in tiefe Depressionen stürzen. Allein Chinas Primärenergiebedarf droht sich, entsprechend dem Referenzszenario der Agentur, zwischen 2005 und 2030 mehr als zu verdoppeln. Die Fahrzeugflotte Chinas soll im selben Zeitraum auf das Siebenfache von heute anwachsen und fast 270 Millionen Automobile erreichen. Es verwundert daher nicht, dass die Energieagentur in ihrem Referenzszenario davon ausgeht, dass die globalen CO2 Emissionen zwischen 2005-2030 um 57 Prozent zunehmen werden. Die USA, China, Indien und Russland sollen dabei für zwei Drittel des Anstiegs verantwortlich sein.

Im Lichte dieser Faktenlage kann sich die Staatengemeinschaft eine Politik der Untätigkeit, des Abwarten und oder gar eines schlichten „Weiter so!“ bereits heute nicht mehr erlauben – und dennoch bestimmt dieses unverantwortliche Verhalten nach wie vor die internationale Klimaschutzagenda, siehe Bali.

Denn verbindliche Reduktionsziele und Termine wurden dort erneut durch eine Koalition der Unwilligen, angeführt von den USA, verhindert. „Tiefe Einschnitte bei den globalen Emissionen“ werden zwar im so genannten „Bali Aktionsplan“ gefordert. Aber konkreter wird der Aktionsplan dann nicht. Zwar nimmt man in dem Konferenzdokument in einer Fußnote auf den Bericht des UN-Klimarates Bezug und somit indirekt auf dessen konkrete Vorgaben. Aber das war es dann auch schon, und damit kann jeder den Text nach seinem Belieben interpretieren. Fehlanzeige also.

Im Klartext hat Bali in der Hauptsache, nämlich dass sich die wichtigsten Verschmutzerstaaten endlich konkret und praktisch in die Pflicht nehmen lassen, erneut nichts anderes gebracht als eine weitere Vertagung.

„Auf Wiedersehen in Kopenhagen 2009“ heißt die eigentliche Botschaft von Bali. Dort sollen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Zudem wird dann in den USA eine andere Regierung im Amt sein, und vielleicht ändern sich ja dann die Dinge wirklich. Freilich sollte man gerade angesichts dieser Hoffnungen nicht vergessen, woran der Vertrag von Kyoto letztlich gescheitert ist. Ein solcher Vertrag muss durch den US-Senat ratifiziert werden, damit er in Kraft treten kann. Das hat schon einmal nicht funktioniert.

Bis Kopenhagen 2009 werden dann drei weitere Jahre ins Land gegangen sein, in denen es zu einem gewaltigen Anstieg der politischen Verbalemissionen kommen wird, die globalen CO2 Emissionen in der wirklichen Welt aber erneut zu- und nicht abgenommen haben werden. Und vielleicht geschieht ja in der Zwischenzeit auch etwas, was es in der Politik eigentlich nicht gibt, nämlich ein kleines Wunder. Denn, so muss man auf Grund der bisherigen Erfahrungen befürchten, der Klimaschutz wird wohl ohne den direkten Eingriff höherer Mächte kaum wirklich vorankommen.

Mit Joschka Fischers Kolumne beginnt jeden Montag um 9:00 die politische Woche auf ZEIT online.

Montag, 10. Dezember 2007

Nach dem Knall

Aufatmen wegen des US-Geheimdienstberichts über Iran? Zunächst ja - aber die eigentliche Gefahr ist noch nicht gebannt

Von Joschka Fischer


Eines muss man der amerikanischen Regierung unter Präsident Bush zugestehen: Sie schafft es immer wieder, selbst die pessimistischsten Erwartungen ihrer Kritiker zu übertreffen. Die vergangenen Tage haben jene scheinbar unerschöpfliche Chaoskreativität von George W. Bush erneut unter Beweis gestellt.

Mit der Konferenz von Annapolis schien endlich ein erster Schritt in die richtige Richtung versucht worden zu sein, nämlich eine amerikanische Regionalpolitik für den Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln, die nicht mehr ausschließlich auf Kriege zu setzen schien. Eine Friedensinitiative für den Nahostkonflikt, der Versuch einer diplomatischen Isolierung Irans in der Region, die Einbeziehung Syriens in diese neue Regionalpolitik – all diese Faktoren signalisierten die seit Langem erwartete Änderung der amerikanischen Politik. Welch ein Trugschluss!

Denn in der abgelaufenen Woche detonierte in der amerikanischen Hauptstadt Washington eine politische Bombe. Die versammelten Geheimdienste der USA veröffentlichten einen neuen Befund über das Atomwaffenprogramm Irans und kamen zu der Auffassung, dass Iran erstens sein Atomwaffenprogramm bereits 2003 eingestellt habe. Zweitens spreche sehr viel dafür, dass dieses Programm auch seitdem nicht wieder aufgenommen worden wurde. Drittens sei allerdings nicht anzunehmen, dass dieses Programm dauerhaft beendet worden wäre, sondern sich Iran die Option einer Wiederaufnahme offenhielte. Und viertens diplomatischer Druck von außen auf die Regierung in Teheran gewirkt hätte.

Die Wirkungen dieser politischen Detonation müssen nun besichtigt werden. Und in die Freude über eine gewisse Unterbrechung des Säbelrasselns mischt sich neuerliche Sorge - insbesondere aufgrund der Politik Teherans.

Um die nunmehr eingetretene Lage beurteilen zu können, muss der Zusammenhang betrachtet werden, in dem das „New Intelligence Estimate“ genannte Dokument veröffentlicht wurde. Ironischerweise lautet sein Kürzel NIE, was in diesem Fall in der deutschen Sprache einen ganz besonders Sinn zu tragen scheint. Hatte Amerikas Präsident nicht eben erst noch öffentlich vom Vierten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Gefahr iranischer Atomwaffen geredet? Waren im vergangenen Jahr nicht zusätzliche Flugzeugträger mit dem Hinweis auf die iranische Gefahr in den Persischen Golf verlegt worden? Und hatte der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney nicht seit Monaten, im Verein mit den meisten der republikanischen Präsidentschaftskandidaten, unablässig wegen Irans Nuklearprogramm die Kriegstrommel gerührt?

Die Verhältnisse schienen durch den neuen Befund der amerikanischen Geheimdienste auf den Kopf (oder vom Kopf auf die Füße?) gestellt worden zu sein.

George W. Bush stand plötzlich durch die eigenen Geheimdienste öffentlich blamiert da, während der iranische Präsident Ahmandineschad feixend einen „Sieg“ für Iran reklamierte.

Seit mehr als einem Jahr war Washington voll mit Gerüchten über einen möglichen Luftschlag der USA gegen die iranischen Atomanlagen, gegen die Luftabwehr, die Revolutionsgarden und andere militärische Ziele. Die interne Debatte über eine sogenannte „militärische Option“ hatte allerdings bereits sehr viel früher eingesetzt. Dabei war vom Beginn an klar, dass die USA zwar einen weiteren Krieg in der Region jederzeit beginnen, ihn aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden konventionellen militärischen Mitteln erneut nicht gewinnen konnten.

Zudem gab es niemals eine militärische Garantie, dass die nukleare „Ausbruchskapazität“ Irans, also solche Atomanlagen, die sich militärisch umwidmen ließen, allein aus der Luft und mit Spezialkräften am Boden hätten zerstört werden können. Mit einem solchen Militärschlag würden die USA zudem eine Eskalationsdynamik auslösen, die dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kaum noch zu kontrollieren sein würde.

Legte man daher all diesen abenteuerlichen Spekulationen eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, so musste man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass die sogenannte „militärische Option“ realistischer Weise überhaupt nicht bestand, sondern dass es zu dem doppelten Weg von UN-Sanktionen und -Verhandlungen eigentlich keine echte Alternative gab. Dennoch rührten Bush und Cheney und ihre neokonservative Gefolgschaft unentwegt die Kriegstrommeln. Und ganz offensichtlich war die Sorge im Militär und in den Geheimdiensten über einen möglichen Militärschlag gegen Iran noch vor Ablauf der Amtszeit von Präsident Bush so groß, dass es jetzt dagegen fast zur offenen Revolte kam.

Zuerst hatten sich die ranghöchsten Militärs der USA öffentlich gegen die politische Führung bis jenseits der Grenze des direkten Widerspruchs geäußert. Und nunmehr folgten noch weitaus deutlicher die amerikanischen Geheimdienste. Ganz offensichtlich gibt es in Militär und Geheimdiensten keinerlei Bedarf an einem zweiten, absehbar noch sehr viel desaströseren Abenteuer als im Irak. Und auch die politischen Spitzen im Verteidigungs- und Außenministerium hatten sich gegen eine Militäraktion positioniert.

Betrachtet man aus dieser Perspektive die jetzt eingetretene Situation, so könnte man frohen Herzens konstatieren: So weit, so gut. Aber leider liegen die Dinge nicht so einfach.

Die ideologiegetriebene Kriegsrhetorik von Präsident Bush und seinem Vizepräsidenten hat die iranische Regierung völlig unverdient in eine Situation gebracht, in der ihre politischen Absichten wie auch das von ihr betriebene Atomprogramm einer breiteren Öffentlichkeit als friedlich, ja sogar nachgerade als harmlos erscheinen. Dies ist jedoch mitnichten der Fall.

Es ist schon der Ausweis einer gehobenen Staatskunst der Extraklasse, wenn man mit der Erkenntnis, dass Iran bis 2003 über ein direktes Nuklearwaffenprogramm verfügt hatte, derart in die Defensive geraten kann, wie das für die Regierung Bush jetzt der Fall ist. Iran hat ein solches Programm immer bestritten! Ohne die verantwortungslose Kriegsrhetorik des Weißen Hauses hätte diese, offensichtlich auf gewichtigen neuen Erkenntnissen gründende Enthüllung der amerikanischen Dienste erstens massiv die Begründung des Misstrauens des UN-Sicherheitsrats und der internationalen Gemeinschaft verstärkt. Und zweitens wäre Iran unter einen gewaltigen Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck geraten, und dies völlig zu Recht.

Denn im Konflikt mit Iran um sein Nuklearprogramm geht es genau um das gleichermaßen massive wie berechtigte Misstrauen gegen die Absichten Irans, die das Land mit seinem Nuklearprogramm verfolgt. Jenseits eines direkten Nuklearwaffenprogramms, was einen schweren Verstoß Irans gegen seine Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags darstellen würde, stellt sich die Frage, zu welchem Zweck Iran sowohl die Urananreicherung als auch einen Schwerwasserreaktor (der direkte Weg zur Produktion von waffenfähigem Plutonium) braucht.

Iran verfügt lediglich über ein von Russland fast fertiggestelltes Atomkraftwerk in Busheer am Persischen Golf. Allerdings wird dieses AKW nur ans Netz gehen, wenn Iran dafür exklusiv russische Brennelemente einsetzt und die abgebrannten Brennelemente wieder an Russland zurückgibt. Ansonsten hat Iran für die Dauer von mindestens einem Jahrzehnt schlicht keinen Bedarf für eine eigene Brennelementeproduktion.

Die Behauptung, dass Iran in den nächsten zehn Jahren zum Zwecke der Stromerzeugung massiv seine nuklearen Reaktorkapazitäten ausbauen will (Iran verfügt über die weltweit zweitgrößten Erdgasreserven und sehr große Ölreserven!), wirkt angesichts der Fakten alles andere als überzeugend. Zudem hat Iran das europäische Angebot zur Lieferung modernster Leichtwasserreaktoren abgelehnt, was die Glaubwürdigkeit der Erklärungen der iranischen Regierung noch weiter untergrub.

Der Ausbau der Urananreicherung und die Errichtung eines Schwerwasserreaktors ergibt angesichts der iranischen Faktenlage nur dann Sinn, wenn man sowohl den Uran- als auch Plutoniumpfad bis an die Schwelle der Nuklearwaffenfähigkeit gehen will, was unter den Regeln des Atomwaffensperrvertrags sogar erlaubt ist. Dann allerdings wäre Iran nur noch eine politische Entscheidung vom Status einer Nuklearmacht entfernt.

Iran hat das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Der Konflikt mit Teheran geht nicht um dieses Recht, sondern um den Mangel an Vertrauen in die Absichten der Teheraner Regierung und die Glaubwürdigkeit ihrer Erklärungen. Und damit ist es angesichts der Existenz eines Atomwaffenprogramms bis 2003, des Verhaltens Irans in der Vergangenheit und des Designs seines aktuellen, öffentlich bekannten Nuklearprogramms nicht sehr weit her.

Wenn einer möglichen Militäraktion der USA fürs Erste die Grundlage entzogen wurde, so ist das eine gute Nachricht. Für eine Entwarnung im Nuklearkonflikt mit Iran besteht aber tatsächlich kein Anlass. Denn wenn Iran mit seinem bekannten Nuklearprogramm fortfährt, dann besteht das Risiko uneingeschränkt fort, dass allein die Möglichkeit, dass der Iran eine militärische Nuklearmacht werden könnte, die gesamte Region in einen nuklearen Rüstungswettlauf unter den Regionalmächten treiben wird. Ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen und Mittleren Osten, dieser ohnehin unsicheren Region, ist allerdings ein sicherheitspolitischer Albtraum. Würde er Wirklichkeit, dann veränderte sich auch die Sicherheitslage Europas grundsätzlich.

Wenn die rhetorische Scharfmacherei der US-Regierung in der Vergangenheit jetzt dazu führen sollte, dass Iran international neue Legitimation für sein Atomprogramm zuwächst und die diplomatischen Sanktionsbemühungen des UN-Sicherheitsrats dadurch geschwächt würden, so wäre das überaus fatal.

Denn zu den diplomatischen Anstrengungen, mittels Sanktionen der UN die Regierung in Teheran zu einer Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde zu zwingen und eine Verhandlungslösung auf der Grundlage umfassender und voller Transparenz zu erreichen, gibt es nur schlechtere und vor allem gefährlichere Alternativen.

Nach dem Desaster von Washington wird allerdings kein Weg mehr daran vorbeiführen, dass die USA sich von der Illusion eines von außen herbeigeführten Regierungssturzes verabschieden und direkte Gespräche mit Teheran über alle wichtigen Fragen beginnen – Atomprogramm, Irak, Nahost, regionale Sicherheit und Menschenrechte.

Die Ebene der Botschafter im Irak, die erste Gespräche über die Lage im Land geführt haben, wird dazu allerdings nicht ausreichend sein. Diese direkten Gespräche zwischen Washington und Teheran müssen von den Außenministern begonnen werden. Ob sie noch zur Amtszeit von Condoleezza Rice stattfinden werden oder erst nach dem Regierungswechsel in Washington in mehr als einem Jahr, bleibt eine offene Frage. Die Antwort sollte lauten: Je schneller, desto besser.

Dienstag, 4. Dezember 2007

Wird Teheran isoliert?

Von Joschka Fischer

Die Konferenz von Annapolis hatte durchaus ein Ergebnis: Nicht für den Nahostkonflikt, aber für den großen Regionalkonflikt mit Iran

Ein Berg war es nicht gewesen, der da in der letzten Woche in der Stadt an der Küste Marylands gekreißt hat. Und man wird wohl noch einige Zeit abwarten müssen, bis man wissen wird, ob dort lediglich eine Maus von nahöstlichem Friedensprozess geboren wurde oder tatsächlich mehr.

Was die eigentliche Sache der Konferenz betraf, nämlich den Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern, so wurden die Pessimisten eher bestätigt als widerlegt. Die Konfliktparteien konnten sich nicht einmal auf ein Dokument einigen, geschweige denn auf gemeinsame Grundsätze, die mehr enthielten als die äußerst vage gehaltene Vision einer Zwei-Staaten-Lösung.

Stattdessen trug der Gastgeber der Konferenz, der amerikanische Präsident Bush, mit dem Einverständnis der beiden Parteien eine kurze Erklärung vor. Darin wurde ein Verhandlungsprozess mit dem Ziel eines israelisch-palästinensischen Friedensvertrags verabredet. Die USA werden diesen Prozess beaufsichtigen. Die Verhandlungen sollen am 12. Dezember beginnen und noch vor Ablauf des Jahres 2008 beendet werden.

Angesichts der Schwierigkeit der zu verhandelnden Fragen verwundert das karge Ergebnis der Konferenz keineswegs. Es allein wäre daher auch kein ausreichender Grund für Pessimismus - wenn nicht in Annapolis die politische Schwäche der beteiligten drei Hauptakteure so offensichtlich zutage getreten wäre.

Israel geht es im Kern um Sicherheit. Den Palästinensern um den Abbau der israelischen Siedlungen, das Ende der Besatzung und um einen eigenen, lebensfähigen Staat in den Grenzen vom 5. Juni 1967, unter Einschluss von Ostjerusalem. Die Tragik liegt nun genau darin, dass niemand dem israelischen Premierminister Olmert zutraut, Zusagen über Siedlungen und Land auch erfüllen zu können. Und fast noch weniger traut man dem Palästinenserpräsidenten Abbas zu, Sicherheitsversprechen an Israel garantieren zu können. Und damit fehlt auch weiterhin auf beiden Seiten ein ganz entscheidendes Element für einen ernsthaften Friedensprozess, nämlich die Hoffnung.

Sehr viel interessanter hingegen sind die Ergebnisse der Konferenz, wenn man ihre Bedeutung für die Gesamtregion betrachtet. Mit ihr hat nämlich der bisher zentrale Regionalkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern an Bedeutung verloren. Er ist nicht länger der Zentralkonflikt. Die Rolle des regionalen Zentralkonflikts wurde stattdessen von dem Konflikt um die Vorherrschaft in der Region zwischen Iran und den gemäßigten arabischen Staaten, vorneweg Saudi-Arabien, übernommen.

Die gegenwärtigen Schlachtfelder dieses Hegemonialkonflikts sind heute noch der Libanon und der Irak, aber die eigentliche Krise wird um die Vorherrschaft am Persischen Golf stattfinden. Der regionale Zentralkonflikt hat sich dorthin verlagert.

Mehr noch: In Annapolis hatte sich unter der Führung der USA zum ersten Mal eine antiiranische Koalition aus den arabischen Staaten und Israel offen zusammengefunden. Der vordergründige Anlass war zwar der Friedensprozess im Nahen Osten, aber das Wesen der Sache war jenes antihegemoniale Bündnis gegen Iran. Insofern war Annapolis vor allem eine diplomatische „show of force“ gegenüber dem Iran.

Gerade deswegen könnte die Teilnahme Syriens von überaus großer Bedeutung gewesen sein, denn dieses Land ist der letzte regionale Alliierte des Iran.

Falls die Einladung Syriens nur ein taktisches Nachgeben der US-Regierung gewesen sein sollte, um Saudi-Arabien an den Konferenztisch zu bekommen, kann man die Sache vergessen. Sollte die Einladung an Damaskus allerdings ein Angebot gewesen sein, Syrien sowohl ernsthaft in den Friedensprozess einzubeziehen als auch darüber hinaus strategisch ins arabisch-westliche Lager zu holen, dann würde Annapolis den Beginn einer völlig neuen Regionalpolitik der USA im Nahen Osten bedeuten.

Eine solche neue Regionalpolitik der USA wäre allerdings lediglich ein halber Schritt, der zudem in eine fatal falsche und gefährliche Richtung führen würde, wenn er die diplomatischen Voraussetzungen für einen militärischen Angriff schaffen sollte.

Eine regionale Isolierungsstrategie gegenüber Iran ergibt nur dann Sinn, wenn sie zugleich von der Vorbereitung eines ernsthaften Gesprächsangebots Washingtons an Teheran über alle wichtigen Fragen – Nuklearprogramm, Irak, Nahostkonflikt, Sicherheit am Golf und in der gesamten Region, volle Normalisierung der Beziehungen – begleitet wird. Genau darauf sollten die europäischen Regierungen jetzt energisch drängen.

Die Konsequenzen wären eine Friedenslösung im Nahostkonflikt, eine Stabilisierung des Iraks und schließlich ein regionales Sicherheitssystem, das den legitimen Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten Rechnung tragen, einen nuklearen Rüstungswettlauf im Nahen Osten verhindern und der Region genügend Stabilität garantieren würde, damit sie einen Prozess der graduellen Modernisierung einschlagen könnte.

Was Annapolis also wirklich gebracht hat und wie es schließlich politisch einzuordnen sein wird, werden erst die kommenden Monate zeigen. Eines ist jedoch bereits heute absehbar: Die Fortschritte im nahöstlichen Friedensprozess werden nicht im Vordergrund stehen, sondern durch die sich aufbauende Konfrontation mit Iran verdrängt werden.

Hat die Konferenz von Annapolis also der Vorbereitung einer militärischen Konfrontation mit Iran gedient? Oder wird sie den Beginn einer neuen Regionalpolitik der USA markieren, die Iran politisch und ökonomisch isoliert? Spätestens im nächsten Frühjahr werden wir die Antwort wissen.