Montag, 10. Dezember 2007

Nach dem Knall

Aufatmen wegen des US-Geheimdienstberichts über Iran? Zunächst ja - aber die eigentliche Gefahr ist noch nicht gebannt

Von Joschka Fischer


Eines muss man der amerikanischen Regierung unter Präsident Bush zugestehen: Sie schafft es immer wieder, selbst die pessimistischsten Erwartungen ihrer Kritiker zu übertreffen. Die vergangenen Tage haben jene scheinbar unerschöpfliche Chaoskreativität von George W. Bush erneut unter Beweis gestellt.

Mit der Konferenz von Annapolis schien endlich ein erster Schritt in die richtige Richtung versucht worden zu sein, nämlich eine amerikanische Regionalpolitik für den Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln, die nicht mehr ausschließlich auf Kriege zu setzen schien. Eine Friedensinitiative für den Nahostkonflikt, der Versuch einer diplomatischen Isolierung Irans in der Region, die Einbeziehung Syriens in diese neue Regionalpolitik – all diese Faktoren signalisierten die seit Langem erwartete Änderung der amerikanischen Politik. Welch ein Trugschluss!

Denn in der abgelaufenen Woche detonierte in der amerikanischen Hauptstadt Washington eine politische Bombe. Die versammelten Geheimdienste der USA veröffentlichten einen neuen Befund über das Atomwaffenprogramm Irans und kamen zu der Auffassung, dass Iran erstens sein Atomwaffenprogramm bereits 2003 eingestellt habe. Zweitens spreche sehr viel dafür, dass dieses Programm auch seitdem nicht wieder aufgenommen worden wurde. Drittens sei allerdings nicht anzunehmen, dass dieses Programm dauerhaft beendet worden wäre, sondern sich Iran die Option einer Wiederaufnahme offenhielte. Und viertens diplomatischer Druck von außen auf die Regierung in Teheran gewirkt hätte.

Die Wirkungen dieser politischen Detonation müssen nun besichtigt werden. Und in die Freude über eine gewisse Unterbrechung des Säbelrasselns mischt sich neuerliche Sorge - insbesondere aufgrund der Politik Teherans.

Um die nunmehr eingetretene Lage beurteilen zu können, muss der Zusammenhang betrachtet werden, in dem das „New Intelligence Estimate“ genannte Dokument veröffentlicht wurde. Ironischerweise lautet sein Kürzel NIE, was in diesem Fall in der deutschen Sprache einen ganz besonders Sinn zu tragen scheint. Hatte Amerikas Präsident nicht eben erst noch öffentlich vom Vierten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Gefahr iranischer Atomwaffen geredet? Waren im vergangenen Jahr nicht zusätzliche Flugzeugträger mit dem Hinweis auf die iranische Gefahr in den Persischen Golf verlegt worden? Und hatte der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney nicht seit Monaten, im Verein mit den meisten der republikanischen Präsidentschaftskandidaten, unablässig wegen Irans Nuklearprogramm die Kriegstrommel gerührt?

Die Verhältnisse schienen durch den neuen Befund der amerikanischen Geheimdienste auf den Kopf (oder vom Kopf auf die Füße?) gestellt worden zu sein.

George W. Bush stand plötzlich durch die eigenen Geheimdienste öffentlich blamiert da, während der iranische Präsident Ahmandineschad feixend einen „Sieg“ für Iran reklamierte.

Seit mehr als einem Jahr war Washington voll mit Gerüchten über einen möglichen Luftschlag der USA gegen die iranischen Atomanlagen, gegen die Luftabwehr, die Revolutionsgarden und andere militärische Ziele. Die interne Debatte über eine sogenannte „militärische Option“ hatte allerdings bereits sehr viel früher eingesetzt. Dabei war vom Beginn an klar, dass die USA zwar einen weiteren Krieg in der Region jederzeit beginnen, ihn aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden konventionellen militärischen Mitteln erneut nicht gewinnen konnten.

Zudem gab es niemals eine militärische Garantie, dass die nukleare „Ausbruchskapazität“ Irans, also solche Atomanlagen, die sich militärisch umwidmen ließen, allein aus der Luft und mit Spezialkräften am Boden hätten zerstört werden können. Mit einem solchen Militärschlag würden die USA zudem eine Eskalationsdynamik auslösen, die dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kaum noch zu kontrollieren sein würde.

Legte man daher all diesen abenteuerlichen Spekulationen eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, so musste man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass die sogenannte „militärische Option“ realistischer Weise überhaupt nicht bestand, sondern dass es zu dem doppelten Weg von UN-Sanktionen und -Verhandlungen eigentlich keine echte Alternative gab. Dennoch rührten Bush und Cheney und ihre neokonservative Gefolgschaft unentwegt die Kriegstrommeln. Und ganz offensichtlich war die Sorge im Militär und in den Geheimdiensten über einen möglichen Militärschlag gegen Iran noch vor Ablauf der Amtszeit von Präsident Bush so groß, dass es jetzt dagegen fast zur offenen Revolte kam.

Zuerst hatten sich die ranghöchsten Militärs der USA öffentlich gegen die politische Führung bis jenseits der Grenze des direkten Widerspruchs geäußert. Und nunmehr folgten noch weitaus deutlicher die amerikanischen Geheimdienste. Ganz offensichtlich gibt es in Militär und Geheimdiensten keinerlei Bedarf an einem zweiten, absehbar noch sehr viel desaströseren Abenteuer als im Irak. Und auch die politischen Spitzen im Verteidigungs- und Außenministerium hatten sich gegen eine Militäraktion positioniert.

Betrachtet man aus dieser Perspektive die jetzt eingetretene Situation, so könnte man frohen Herzens konstatieren: So weit, so gut. Aber leider liegen die Dinge nicht so einfach.

Die ideologiegetriebene Kriegsrhetorik von Präsident Bush und seinem Vizepräsidenten hat die iranische Regierung völlig unverdient in eine Situation gebracht, in der ihre politischen Absichten wie auch das von ihr betriebene Atomprogramm einer breiteren Öffentlichkeit als friedlich, ja sogar nachgerade als harmlos erscheinen. Dies ist jedoch mitnichten der Fall.

Es ist schon der Ausweis einer gehobenen Staatskunst der Extraklasse, wenn man mit der Erkenntnis, dass Iran bis 2003 über ein direktes Nuklearwaffenprogramm verfügt hatte, derart in die Defensive geraten kann, wie das für die Regierung Bush jetzt der Fall ist. Iran hat ein solches Programm immer bestritten! Ohne die verantwortungslose Kriegsrhetorik des Weißen Hauses hätte diese, offensichtlich auf gewichtigen neuen Erkenntnissen gründende Enthüllung der amerikanischen Dienste erstens massiv die Begründung des Misstrauens des UN-Sicherheitsrats und der internationalen Gemeinschaft verstärkt. Und zweitens wäre Iran unter einen gewaltigen Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck geraten, und dies völlig zu Recht.

Denn im Konflikt mit Iran um sein Nuklearprogramm geht es genau um das gleichermaßen massive wie berechtigte Misstrauen gegen die Absichten Irans, die das Land mit seinem Nuklearprogramm verfolgt. Jenseits eines direkten Nuklearwaffenprogramms, was einen schweren Verstoß Irans gegen seine Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags darstellen würde, stellt sich die Frage, zu welchem Zweck Iran sowohl die Urananreicherung als auch einen Schwerwasserreaktor (der direkte Weg zur Produktion von waffenfähigem Plutonium) braucht.

Iran verfügt lediglich über ein von Russland fast fertiggestelltes Atomkraftwerk in Busheer am Persischen Golf. Allerdings wird dieses AKW nur ans Netz gehen, wenn Iran dafür exklusiv russische Brennelemente einsetzt und die abgebrannten Brennelemente wieder an Russland zurückgibt. Ansonsten hat Iran für die Dauer von mindestens einem Jahrzehnt schlicht keinen Bedarf für eine eigene Brennelementeproduktion.

Die Behauptung, dass Iran in den nächsten zehn Jahren zum Zwecke der Stromerzeugung massiv seine nuklearen Reaktorkapazitäten ausbauen will (Iran verfügt über die weltweit zweitgrößten Erdgasreserven und sehr große Ölreserven!), wirkt angesichts der Fakten alles andere als überzeugend. Zudem hat Iran das europäische Angebot zur Lieferung modernster Leichtwasserreaktoren abgelehnt, was die Glaubwürdigkeit der Erklärungen der iranischen Regierung noch weiter untergrub.

Der Ausbau der Urananreicherung und die Errichtung eines Schwerwasserreaktors ergibt angesichts der iranischen Faktenlage nur dann Sinn, wenn man sowohl den Uran- als auch Plutoniumpfad bis an die Schwelle der Nuklearwaffenfähigkeit gehen will, was unter den Regeln des Atomwaffensperrvertrags sogar erlaubt ist. Dann allerdings wäre Iran nur noch eine politische Entscheidung vom Status einer Nuklearmacht entfernt.

Iran hat das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Der Konflikt mit Teheran geht nicht um dieses Recht, sondern um den Mangel an Vertrauen in die Absichten der Teheraner Regierung und die Glaubwürdigkeit ihrer Erklärungen. Und damit ist es angesichts der Existenz eines Atomwaffenprogramms bis 2003, des Verhaltens Irans in der Vergangenheit und des Designs seines aktuellen, öffentlich bekannten Nuklearprogramms nicht sehr weit her.

Wenn einer möglichen Militäraktion der USA fürs Erste die Grundlage entzogen wurde, so ist das eine gute Nachricht. Für eine Entwarnung im Nuklearkonflikt mit Iran besteht aber tatsächlich kein Anlass. Denn wenn Iran mit seinem bekannten Nuklearprogramm fortfährt, dann besteht das Risiko uneingeschränkt fort, dass allein die Möglichkeit, dass der Iran eine militärische Nuklearmacht werden könnte, die gesamte Region in einen nuklearen Rüstungswettlauf unter den Regionalmächten treiben wird. Ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen und Mittleren Osten, dieser ohnehin unsicheren Region, ist allerdings ein sicherheitspolitischer Albtraum. Würde er Wirklichkeit, dann veränderte sich auch die Sicherheitslage Europas grundsätzlich.

Wenn die rhetorische Scharfmacherei der US-Regierung in der Vergangenheit jetzt dazu führen sollte, dass Iran international neue Legitimation für sein Atomprogramm zuwächst und die diplomatischen Sanktionsbemühungen des UN-Sicherheitsrats dadurch geschwächt würden, so wäre das überaus fatal.

Denn zu den diplomatischen Anstrengungen, mittels Sanktionen der UN die Regierung in Teheran zu einer Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde zu zwingen und eine Verhandlungslösung auf der Grundlage umfassender und voller Transparenz zu erreichen, gibt es nur schlechtere und vor allem gefährlichere Alternativen.

Nach dem Desaster von Washington wird allerdings kein Weg mehr daran vorbeiführen, dass die USA sich von der Illusion eines von außen herbeigeführten Regierungssturzes verabschieden und direkte Gespräche mit Teheran über alle wichtigen Fragen beginnen – Atomprogramm, Irak, Nahost, regionale Sicherheit und Menschenrechte.

Die Ebene der Botschafter im Irak, die erste Gespräche über die Lage im Land geführt haben, wird dazu allerdings nicht ausreichend sein. Diese direkten Gespräche zwischen Washington und Teheran müssen von den Außenministern begonnen werden. Ob sie noch zur Amtszeit von Condoleezza Rice stattfinden werden oder erst nach dem Regierungswechsel in Washington in mehr als einem Jahr, bleibt eine offene Frage. Die Antwort sollte lauten: Je schneller, desto besser.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

And what do you think of Obadiah Shoher's arguments against the peace process ( samsonblinded.org/blog/we-need-a-respite-from-peace.htm )?