Montag, 25. Februar 2008

Französische Pläne

Wenn Frankreich den EU-Vorsitz übernimmt, geht's dann kraftvoll voran mit Europa - oder drohen unangenehme Konflikte?


Die EU befindet sich in einer merkwürdigen Phase ihrer Entwicklung. Europa schreitet einerseits erfolgreich voran: Zwei neue Mitglieder wurden in die Eurozone aufgenommen; der sogenannte Schengenraum wurde mit dem Wegfall der Binnengrenzen der osteuropäischen Mitgliedstaaten erweitert und manches mehr - aber all dies geschieht, während die EU faktisch auf Autopilot fliegt. Die politischen Piloten Europas schwächeln nämlich ganz erheblich.

Ein Autopilot ist ein Computer, in dem zuerst die Flugdaten eingegeben werden müssen und der dann während des Flugs anhand dieser Daten die Arbeit der Piloten übernehmen kann. Im Falle der EU ist der Autopilot die europäische Bürokratie, welche die Flugdaten (Beschlüsse der Räte, der Kommission und des Europäischen Parlaments) entsprechend umsetzt, und dies geschieht auf eine ziemlich effektive Weise.

Woran es gegenwärtig aber in der EU mangelt, ist die Eingabe neuer Flugdaten. Dazu bedarf es politischer Vorgaben und Führung.

Sollte der Reformvertrag (die Reform der EU-Institutionen) von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden, so würde dies ein entscheidender Schritt nach vorne sein, der den Autopiloten der EU ganz erheblich verbessern wird. Allerdings lägen dann immer noch keine neuen Flugdaten vor.

Und damit kommen wir zu jenem großen Andererseits, was den aktuellen Zustand der EU betrifft. Denn subjektiv ist die EU gespaltener, initiativloser und schwächer denn je.

Dies hängt sowohl mit dem Scheitern der EU-Verfassung und mit dem seit 2005 vollzogenen Personen- und Generationenwechsel in der politischen Führung wichtiger Mitgliedstaaten (Angela Merkel, Gordon Brown, Nicolas Sarkozy) zusammen als auch mit einer dramatischen Verschiebung der machtpolitischen Gewichte in der Weltwirtschaft und im internationalen politischen System.

In dieser eher trüben Lage wird daher der kommenden französischen EU-Präsidentschaft eine ganz besondere Bedeutung für Europa und für die Neudefinition der französischen Rolle innerhalb der erweiterten EU zukommen.

Hier stellt sich nun eine Grundsatzfrage an die kommende französische Präsidentschaft: Wird Frankreich seine EU-Präsidentschaft mitsamt den abzusehenden Initiativen, wie der Weiterentwicklung der EU-Verteidigungsfähigkeit und einer neue Mittelmeerinitiative, vorrangig zur Stärkung der EU nutzen wollen - oder nur zur Verbesserung der französischen Position innerhalb der erweiterten Union?

Die Antwort Frankreichs auf diese Grundfrage wird für die internationale Handlungsfähigkeit der EU den entscheidenden Unterschied ausmachen. Denn nur Nicolas Sarkozy wird in den kommenden zwei Jahren europapolitisch freie Hand haben: Angela Merkel geht auf die Bundestagswahlen zu, Gordon Brown kämpft um sein politisches Überleben, und die italienische Politik verspricht nach den kommenden Neuwahlen ebenfalls keine Hoffnung.

Angesichts der Politik von Präsident Sarkozy in den vergangenen Monaten ist allerdings Skepsis angebracht, ob er die EU-orientierte Option wählen wird. Vieles spricht für die zweite Option.

Und auch im deutsch-französischen Verhältnis bauen sich dunkel dräuende Wolken auf, die wenig Gutes für Europa verheißen.

Zwar ist es richtig, dass in der erweiterten EU ein Konsens zwischen Deutschland und Frankreich allein nicht mehr ausreicht, um entscheidende Initiativen in der Union voranzubringen. Aber ebenso richtig bleibt auch, dass Erfolge kaum möglich sind, wenn sich Deutschland und Frankreich nicht einigen.

Drei Konfliktfelder zeichnen sich im deutsch-französischen Verhältnis ab, die aus diesem Grund entschärft werden müssen:

Erstens: Die französische Idee einer „Mittelmeerunion“ jenseits der Strukturen der EU. Frankreich hat völlig recht mit seiner Kritik an der bisherigen EU-Mittelmeerpolitik, dem sogenannten „Barcelona-Prozess“. Dieser stagniert und hat bis heute kaum positive Resultate erzielt. Im Mittelmeerraum werden aber in Zukunft zentrale Sicherheitsinteressen der EU insgesamt entschieden. Wenn die französische Regierung deshalb nach einem Neuanfang in der Mittelmeerpolitik ruft, so ist das richtig und verdient eigentlich jede Unterstützung.

Eine parallele Mittelmeerpolitik der EU-Anrainerstaaten jedoch, außerhalb der EU-Außenpolitik und angeführt von Frankreich, würde die EU spalten und dadurch ihre Handlungsfähigkeit in diesem für Europas Sicherheit entscheidenden Raum schwächen. Dies wäre ein großer Rückschritt für die gemeinsame Außenpolitik der EU und liefe zudem gegen die Interessen der Nichtanrainerstaaten innerhalb der EU, angeführt von Deutschland.

Zweitens: Frankreich plant während seiner Präsidentschaft eine Verstärkung der EU-Verteidigungsfähigkeit. Dazu möchte Paris in die militärische Integration der Nato zurückkehren, um auf diese Weise Konflikte mit den USA abzubauen, wenn diese gleichzeitig bereit sind, ihren Widerstand gegen den Ausbau der EU-Verteidigungsfähigkeit aufzugeben. Auch dies ist eine weitreichende, vielleicht sogar historisch zu nennende Initiative, den Widerspruch zwischen Nato und EU-Verteidigungspolitik zu überwinden.

Sollte diese Initiative der französischen EU-Präsidentschaft gelingen, so würde dies zwar einen erheblichen Druck auf Deutschland nach sich ziehen, seine Verteidigungsausgaben und sein internationales militärisches Engagement im Rahmen von EU und Nato deutlich zu verstärken. Aber dies betrifft lediglich Defizite in der Verantwortungsbereitschaft der deutschen Regierung und müssen eben von dieser selbst behoben werden.

Denn ohne dass Deutschland als größter Mitgliedstaat seine Beiträge zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik signifikant und dauerhaft verstärkte, würde es mit einer stärkeren internationalen Rolle der EU kaum etwas werden. Man gibt sich zwar gerne europäisch in Berlin, blendet die unangenehmeren Konsequenzen Europas im Ernstfall aber dann doch lieber aus.

Auch dies ist also eine französische Initiative, die eigentlich die volle Unterstützung verdient. Die entscheidende Frage bleibt allerdings erneut, ob Frankreich mit dieser Initiative die sicherheitspolitische Stärkung der EU meint oder nicht vielmehr die Stärkung seiner eigenen Rolle in Europa.

Die Formel „mehr Europa“ wird auf volle Zustimmung stoßen. Die Formel „weniger USA und mehr Frankreich“ hingegen nicht.

Auch die Vorstellung, diese Initiative vor allem auf Frankreich und Großbritannien zu stützen, wird eher Widerstand als Unterstützung hervorrufen.

Drittens: Eine Lockerung des Kompromisses von Maastricht. Dieser mögliche Konfliktpunkt hat nicht unmittelbar mit der französischen Präsidentschaft zu tun und ist keineswegs neu. Gleichwohl könnte er in den kommenden Monaten erneut und in verschärfter Form auf dem europäischen und auch deutsch-französischen Tisch landen.

Mit der gemeinsamen europäischen Währung haben die beteiligten EU-Staaten einen wesentlichen Teil ihrer währungs- und finanzpolitischen Souveränität auf Brüssel und die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen. Und auch das Budgetrecht wird durch die Verschuldenskriterien des Vertrags von Maastricht und die Kontrolle durch die EU-Kommission erheblich eingeschränkt. Den nationalen Regierungen bleibt demnach nur noch die jeweilige Anpassung an die europäischen Vorgaben, und das heißt wirtschaftliche und sozialpolitische Reformen und Sparkurs. Denn alle anderen ökonomischen Stellschrauben haben sie aus der Hand gegeben. Eine solche Politik der Sanierung kann aber aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung sehr schnell zu einer Gefährdung der Mehrheitsfähigkeit einer Regierung führen – und genau diese Lage droht Nicolas Sarkozy.

Sollte Paris aber angesichts der Schwierigkeiten, die ihm der Sanierungskurs für den französischen Staatshaushalt sowie die Reformen der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarkts bereiten, den Versuch unternehmen, diesen innenpolitischen Druck in Richtung EZB und Maastrichtkriterien umzulenken, so würde dies ebenfalls zu einem sehr ernsten Konflikt mit Deutschland führen müssen. Denn keine Bundesregierung (egal wie sie sich parteipolitisch zusammensetzte) würde auch nur einen Tag weiter im Amt überleben, wenn sie an der Unabhängigkeit der EZB oder deren Regeln rütteln ließe.

Wie gesagt, die französische EU Präsidentschaft wird für die nächsten Jahre der EU definierend sein – zum Guten oder zum Schlechten. Jeder der hier genannten Interessenkonflikte im deutsch-französischen Verhältnis ist leicht vermeidbar, wenn man sich auf beiden Seiten des Rheins offen darüber austauscht und Lösungen (am besten gemeinsam) innerhalb der Strukturen der EU anstrebt.

Dann kann die EU-Präsidentschaft Frankreichs - mit ihren bereits angekündigten Initiativen - Europa sogar sehr weit nach vorne bringen.

Montag, 18. Februar 2008

Vorteil Iran und Syrien

Die kommende US-Regierung wird es mit einem neuen Selbstbewusstsein in Teheran und Damaskus zu tun bekommen. Und mit hohen Risiken

Im Nahen und Mittleren Osten werden die kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, denn in dieser Weltgegend sind die USA der regionale Hegemon. Von Washingtons Entscheidungen wird auch in Zukunft das Schicksal dieser Region ganz wesentlich beeinflusst werden - mit Auswirkungen weit über ihre Grenzen hinaus.

Der Nahe Osten ist, geopolitisch gesehen, eine Brückenregion zwischen Ost- und Südasien einerseits und Afrika und Europa andererseits. Zudem befinden sich rund um den Persischen Golf die größten bekannten Öl- und Gasvorräte und Förderkapazitäten der Weltwirtschaft. Für eine globale Macht wäre schon dies allein Grund genug, in die Sicherung dieser Region ihr ganzes Gewicht und Prestige als Weltmacht zu investieren. Doch darüber hinaus findet sich in dieser weiten Region zwischen Mittelmeer und Industal eine hochgefährliche Ansammlung von Konflikten und Risiken: Regionalkonflikte, radikaler Islam, Terrorismus, Nuklearwaffen, die schiitisch-sunnitische Konfrontation sowie regionale Rivalitäten (Indien/Pakistan, Iran/Saudi-Arabien).

Unter der Regierung Bush jedoch haben sich die USA im Wüstensand des Zweistromlandes fest gefahren. Ganz offensichtlich wurden durch eine verfehlte Strategie Washingtons die radikalen Kräfte der Region gestärkt, angeführt von Iran und Syrien.

Was aber wird für den Nahen und Mittleren Osten von einem Regierungswechsel in Washington zu erwarten sein?

Aus Sicht Irans und Syriens haben die vergangenen Jahre die eigene Position gestärkt und nicht geschwächt. Fühlten sich beide Staaten nach dem 11. September 2001 durch die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak, die hohe Präsenz amerikanischer Truppen in der gesamten Region und die Enthüllung des iranischen Nuklearprogramms in die Ecke getrieben, ja sogar akut bedroht, so hat sich diese Lage mittlerweile verändert.

Iran ist heute im Irak die einflussreichste Macht und wird dieses Land wohl mittels der dortigen schiitischen Mehrheit machtpolitisch dauerhaft kontrollieren. Gleiches lässt sich auch für die zunehmende Präsenz Irans am Persischen Golf prognostizieren.

Wem aber die Kontrolle über den Irak und den Persischen Golf zufällt, dessen Dominanz, ja Vorherrschaft in der gesamten Region wird über kurz oder lang kaum zu verhindern sein. Vor allem dann nicht, wenn der Führungsanspruch auch noch mit Atomwaffen unterlegt werden würde.

Dies ist der Kern des aktuellen Konflikts zwischen der - auch in diesem Raum führenden - Weltmacht USA und der aufsteigenden Regionalmacht Iran, dessen Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden darf. Entweder finden beide Seiten eine Verhandlungslösung mit Interessenausgleich, oder die Gefahr eines bewaffneten Konflikts wird erneut zunehmen.

Zwar wurden die Sanktionen der Vereinten Nationen verschärft und sie bereiten dem Land ernste Probleme. Iran bleibt regional weiter relativ isoliert, alleingelassen mit Syrien, seinem einzigen Verbündeten. Die antisemitische Rhetorik des Regimes hat zudem dessen internationale Isolierung verstärkt, und in der Region hat sich, angeführt von den USA, eine antiiranische Koalition gebildet.

Aber mit seinem wachsenden Einfluss im Irak, am Golf, in Afghanistan, im Libanon (Hisbollah) und im Nahostkonflikt (Hamas und Islamic Dshihad), verbunden mit den zunehmenden militärischen Schwierigkeiten der USA im Irak und in Afghanistan, ist es Teheran gelungen, sich Spielraum zu verschaffen.

Der Iran hat sein Nuklearprogramm gegen den massiven Widerstand des UN-Sicherheitsrates fortgesetzt. Spätestens mit der Veröffentlichung der letzten NIE (National Intelligence Estimate) der US-Regierung dürfte man sich in Teheran politisch bestätigt sehen.

Zudem ist zu erwarten, dass Iran in den kommenden Monaten alles versuchen wird, um in den Gesprächen mit der Wiener Atomenergiebehörde (IAEA) die noch offenen Fragen nach seinem bisherigen Atomprogramm zu bereinigen. Dann wäre Teheran in der Position, seine Nuklearprojekte unter voller Beachtung der Regeln des Atomwaffensperrvertrages fortsetzen zu können. An der Gefährlichkeit des iranischen Programms würde sich damit freilich nicht ein Jota ändern, die darin besteht, dass beinahe alle Komponenten für ein militärisches Nuklearprogramm entwickelt werden, so dass es dann eines Tages nur noch einer politischen Entscheidung zur militärischen Nuklearisierung bedürfte.

Auch aus syrischer Sicht sind die vergangenen Jahre kaum zu beklagen.

Damaskus nimmt gegenwärtig in einer Art Schlüsselposition für den Nahostkonflikt, Libanon, Irak und Iran ein. Zwar gehört das Land zu den großen Verlierern des Endes des Kalten Krieges im Nahen Osten. Überdies sind die Grundlagen der syrischen Wirtschaft und des Regimes sind alles andere als stabil und zukunftsversprechend. Das Regime in Teheran etwa würde durch einen bewaffneten Konflikt mit den USA mit hoher Wahrscheinlichkeit gestärkt werden, für Syrien würde jedoch eher das Gegenteil gelten. Aber dennoch ist es auch aus der Sicht von Damaskus gelungen, dem massiven internationalen Druck standzuhalten und die eigene Position entscheidend zu verbessern.

Der Rückzug syrischer Truppen aus dem Libanon, der unter dem Druck der USA und des Sicherheitsrates im Frühjahr 2005 stattgefunden hatte, wird in Syrien wohl mittlerweile als Fehler angesehen. Deshalb versucht Damaskus alles, um diesen Fehler Schritt für Schritt zu korrigieren. Denn für Syrien ist die Herrschaft über den Libanon offensichtlich von größerer Bedeutung als die Rückgabe der israelisch besetzten Golanhöhen.

Die schiitische „Partei Gottes“ (Hisbollah) im Libanon erweist als das entscheidende Instrument Syriens, das Nachbarland im Griff zu behalten. Gegen Syrien ist in Beirut ganz offensichtlich keine Wahl eines neuen Staatspräsidenten möglich, trotz des massiven Drucks der USA, Frankreichs und anderer westlicher Regierungen.

Die Hisbollah ist zudem auch ein wichtiges Instrument der syrischen Politik gegen Israel, ebenso wie die palästinensische Hamas. Mit dem Ausbruch der Hamas aus Gaza hat diese gezeigt, dass sie unter den Bedingungen der Isolation nicht schwächer sondern stärker geworden ist. Und auch dies ist ein Vorteil für Damaskus und Teheran, die beide die Hamas wie auch die Hisbollah massiv unterstützen.

Und gemeinsam mit Iran hat Syrien in jüngster Zeit auch seinen großen Einfluss im Irak demonstriert. Denn nur aufgrund der amerikanischen Truppenverstärkung - und ohne Mitwirkung Teherans und Damaskus’ - wäre es schwerlich zu jenem Rückgang der Gewalt gekommen, der in den letzten Monaten im Irak zu verzeichnen war.

Wenn man daher gegenwärtig in Iran und in Syrien auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten blickt, dann sieht man sich eher auf der Gewinnerseite - und genau dies könnte sich als das große Problem in Zukunft erweisen.

Denn angesichts der geopolitischen Bedeutung dieser Region, der Interessen der USA und des investierten Prestiges der Weltmacht, das dort auf dem Spiel steht, wird kein amerikanischer Präsident einfach die Truppen abziehen können. Ein Abzug ohne politische Lösung wäre ein beispielloses Desaster für die Interessen und das Prestige der Weltmacht USA.

Die kommende amerikanische Regierung, egal ob demokratisch oder republikanisch geführt, wird aus Eigeninteresse eine Politik der Einbindung und direkten Verhandlungen mit Iran und Syrien betreiben, um einen neuen Regionalkonsens zu erzielen und damit zugleich ihr militärisches Engagement im Irak erheblich reduzieren oder gar beenden zu können. Die USA werden sich militärisch und politisch in der Zeit nach Bush im Nahen und Mittleren Osten umgruppieren, aber nicht klein beigeben und abziehen.

Das strategische Kräfteparallelogramm in der Region wird sich durch den amerikanischen Regierungswechsel also mitnichten ändern. Ein neuer Interessenausgleich wird mit der kommenden amerikanischen Regierung möglich sein, eine Schwächung oder gar Beendigung der amerikanischen Rolle im Nahen und Mittleren Osten und der Übergang zu einer iranischen Hegemonie allerdings nicht.

Sollte man diese Hoffnungen in Teheran und Damaskus hegen, so wird unter einem neuen amerikanischen Präsidenten die Gefahr einer heißen Konfrontation leider zu- und nicht abnehmen.

Montag, 11. Februar 2008

Frieden oder Recht?

Ob China und Russland ihre Modernisierung ohne Rechtsstaatlichkeit und Demokratie betreiben können, ist eine Frage von sicherheitspolitischer Bedeutung.
Von Joschka Fischer

Über zwei Jahrhunderte ist es mittlerweile her, seitdem die amerikanische und etwas später die französische Revolution die naturrechtliche Idee unveräußerlicher Menschenrechte hervorgebracht hatten. Trotz ihres universalistischen Anspruchs, für alle Menschen gleich und ungeteilt zu gelten, war dies zu jener Zeit aber keineswegs der Fall.

Bis diese Idee unveräußerlicher Grundrechte eines jeden Menschen sich zumindest theoretisch global durchgesetzt hatte, bedurfte es noch fast zweier weiterer Jahrhunderte, angefüllt mit Kriegen, politischen und sozialen Katastrophen und der Entkolonialisierung der Welt.

In ihren Anfängen war diese Idee der Menschenrechte auf die Innenpolitik beschränkt. Im Verkehr der Staaten untereinander zählte auch weiterhin nicht das Recht, sondern allein die Macht. Der klassische staatliche Souveränitätsbegriff war ausschließlich auf die Macht gestützt, auf die Kontrolle von Bevölkerung und Territorium. Wie zivil oder brutal, wie demokratisch oder autoritär diese Kontrolle jeweils durchgesetzt wurde, fiel unter die staatliche Souveränität.

Die erste große Veränderung des Verständnisses staatlicher Souveränität erfolgte mit dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Deutschen Reiches nach dem Ende des II. Weltkriegs. Zum ersten Mal wurde einer Staatsführung für ihre Verbrechen international der Prozess gemacht und wurden ihre Repräsentanten und Schergen zur Rechenschaft gezogen.

Zugleich signalisierten der Nürnberger Prozess und mit ihm die Gründung der Vereinten Nationen nebst ihrer Definition der Menschenrechte die wachsende Bedeutung des Rechts in den internationalen Beziehungen. Souveränität begründete sich nun nicht mehr nur allein aus Macht, sondern mehr und mehr auch aus dem Recht. Der Kalte Krieg fror dann allerdings diesen Prozess ein, über fünf Jahrzehnte hinweg.

Mit dem Völkermord in Ruanda und der humanitären Katastrophe auf dem Balkan in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstand das Konzept der humanitären Intervention. In deren Gefolge setzte sich im Völkerrecht das „Recht auf Schutz“ und die „Pflicht zum Schutz“ vor staatlicher Willkür und Verbrechen an der eigenen Bevölkerung durch, auch wenn deren Umsetzung nach wie vor mehr als ungewiss ist. Diese Entwicklung in Politik und Völkerrecht führte schließlich zur Gründung des internationalen Strafgerichtshofs.

Die Grundidee der Moderne, auch die Macht der Staaten und ihrer Herrscher einer übergeordneten Herrschaft des Rechts zu unterwerfen und so die Rechte des einzelnen Menschen über die Souveränität der Macht zu stellen, hatte damit, getrieben von schrecklichen Erfahrungen, einen weiteren großen Schritt nach vorne gemacht.

Diese Entwicklung trat nun alles andere als zufällig ein. Im 20. Jahrhundert war man sich in Europa und den USA angesichts der totalitären Herausforderung von Faschismus und Kommunismus bewusst geworden, dass gerade unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten die Herrschaft des Rechts, die Gewaltenteilung und die Demokratie im Innern auch die auswärtige Politik eines Staates ganz entscheidend bestimmten. Die Friedensfähigkeit von Demokratien erwies sich um Faktoren größer als die von autoritären Regimes oder gar Diktaturen.

Heute ist dieses Problem erneut aufgeworfen. Denn der Aufstieg von China und das Wiedererstarken Russlands scheinen zu demonstrieren, dass es keinen notwendigen Zusammenhang zwischen politisch-kultureller und wirtschaftlicher Modernisierung gibt - und es fragt sich, was dies für die internationale Sicherheit bedeutet.

Gerade der atemberaubende wirtschaftliche Erfolg der Volksrepublik China scheint zu beweisen, dass es sehr erfolgreiche autoritäre Modernisierungsalternativen zur westlichen Verbindung von Freiheit, Demokratie, Herrschaft des Rechts und Marktwirtschaft geben kann. Dass ein Land also durchaus einer selektiven Modernisierung folgen kann, einer Modernisierung à la carte, in der es sich jeweils aussucht, welche Elemente der Moderne – Technologie, Wirtschaft, Infrastruktur, politische Institutionen, Werte und Normen – es umsetzen will und welche nicht. Und dass dies funktionieren könnte ...

Welch ein Irrtum! Die Vorstellung einer partiellen Modernisierung wird sich bereits auf mittlere Sicht als Illusion, ja durchaus als gefährliche Illusion erweisen, wie dies bereits die autoritären Modernisierungsalternativen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Russland gezeigt haben.

Die Moderne gibt es auf mittlere Sicht ganz oder gar nicht, da sie durch den technologischen und sozialen Wandel in der Tiefe einer Gesellschaft Kräfte und Spannungen frei setzt, die auf Dauer ohne normative und institutionelle Antworten nicht aufgefangen werden können. Gewiss lassen sich diese Widersprüche eine ganze Zeit lang unterdrücken, aber der Preis dafür ist nur eine Anhäufung von gesellschaftlichen Widersprüchen, die früher oder später explodieren.

Bereits heute sind in beiden Systemen die Krankheitssymptome einer selektiven Modernisierung an der allumfassenden Korruption zu erkennen. Ohne eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien und eine funktionierende Gewaltenteilung wird deshalb auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung nicht nachhaltig funktionieren. China beispielsweise bekommt zunehmend Probleme mit seinen Exporten wegen mangelnder Produktsicherheit, die in hohem Maße korruptionsbedingt ist. Ohne eine Entscheidung für eine freie Presse und eine unabhängige Justiz wird dieses Problemen zu- und nicht abnehmen.

Und auch Russlands „gelenkte“ (sprich: autoritäre) Modernisierung muss sich in naher Zukunft für die Herrschaft des Rechts und für eine funktionierende Gewaltenteilung entscheiden, oder das Land wird allein vom Öl- und Gaspreis und einem brutalen Kampf um Macht, Einfluss und Geld abhängig bleiben. Damit aber könnte der Niedergang russischer Macht nicht aufgehalten werden und das Land würde ein weiteres Mal, nach der Sowjetunion, an einer selektiven Modernisierung scheitern.

In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts, in der es kein „Weit weg“ mehr gibt und eine globale Zweibahnstraße für alle Krisen und Konflikte existiert, wird eine solche partielle Modernisierung, die auf der Verdrängung von Konflikten und Spannungen beruht, die sie selbst ausgelöst hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weitaus gefährlichere Folgen haben, als dies für das 20. Jahrhundert gegolten hat.

Und da der große Krieg als Option, bedingt durch die gegenseitige thermonukleare Vernichtung der Weltmächte, nicht mehr wirklich besteht, werden sich die zunehmenden Spannungen und Widersprüche im Zeitalter der Globalisierung einen anderen Ausweg suchen: messianische Gewaltideologien, Terrorismus, zerfallende Staaten, nichtstaatliche Akteure, primitive Massenvernichtungswaffen und andere Formen der politischen und sozialen Desintegration werden neben den klassischen Konflikten zwischen Staaten und ihren Ursachen in Zukunft eine immer größere sicherheitspolitische Bedeutung erlangen.

Neben die klassische machtpolitische Bedrohung des Friedens tritt daher in der Gegenwart mehr und mehr die Gefährdung des (regionalen und globalen) Friedens durch politische und soziale Desintegration, durch den Verfall normativer, politischer und institutioneller Ordnungssysteme, und durch neue totalitäre Ideologien.

Genau deshalb erweist sich der Widerspruch zwischen sogenannten außenpolitischen „Realisten“ und „Idealisten“ oder zwischen „harter“ und „sanfter“ Macht als ein Gegensatz von Gestern. Die alte Interessenorientierung in der Politik der Staaten gilt zwar fort. Aber sie allein wird in Zukunft Frieden und Stabilität immer weniger garantieren können.

Menschenrechte und Sicherheit werden im 21. Jahrhundert unlösbar miteinander verbunden sein. Das ist ein Ergebnis der Globalisierung, des Realzusammenschlusses von 6,5 Milliarden Menschen in einer globalen Wirtschaft und einem globalen Staatensystem.

Sicherheit im 21. Jahrhundert wird deshalb weitaus mehr durch eine normative und institutionelle Modernisierung und durch wirtschaftliche und soziale Entwicklung gewährleistet als durch eine immer weitere Aufblähung der Militärhaushalte.

Freilich wird es im Extremfall ohne die militärische Absicherung dieser Modernisierungsbestrebungen nicht gehen. Wer das eine will, ohne für das andere zu sorgen und dann auch notfalls das Risiko eines militärischen Engagements einzugehen, der macht denselben Fehler wie diejenigen, die eine selektive Modernisierung betreiben: Er blendet die unangenehmen Aspekte der Modernisierung aus und wird dafür einen hohen Preis zu bezahlen haben.

Montag, 4. Februar 2008

Afghanische Klemme

Mangels politischer Führung schliddert die Bundesregierung sehenden Auges in eine Bündniskrise. Nun muss die Kanzlerin zeigen, was sie kann.


Aussitzen und Nichtstun sind in der Politik bisweilen eine Tugend. Wenn ein solches Verhalten aber auf Problemverdrängung und nicht Problemlösung hinausläuft, dann zeitigt eine solche Strategie der kalkulierten Passivität meist fatale Folgen. Genau eine solche Entwicklung droht gegenwärtig Deutschland in der Causa Afghanistan.

Was sich jetzt zwischen den USA und der Nato auf der einen Seite und der Bundesregierung auf der anderen Seite abspielt, war seit zwei Jahren abzusehen.

Der amerikanische Verteidigungsminister hat an seinen deutschen Kollegen einen Brandbrief geschrieben, in dem er in wenig diplomatischen Worten eine Beteiligung deutscher Soldaten an den Kämpfen gegen die Taliban im Süden des Landes und insgesamt eine Verstärkung des deutschen Militärbeitrags forderte.

In Afghanistan geht es um sehr viel für die Nato, nämlich erstens um Sieg oder Niederlage am Boden. Und zweitens daher um die Zukunft des Bündnisses insgesamt. Und Deutschland läuft in dem seit Langem unter der Decke schwelenden Konflikt, der jetzt öffentlich sichtbar wurde, Gefahr, als Hauptverantwortlicher für ein mögliches Scheitern der Nato in Afghanistan gesehen zu werden.

Sollte dieser Fall eintreten, so würde er für die deutsche Außenpolitik den Maximalschaden bedeuten. Eigentlich darf keine Bundesregierung dies zulassen, aber dennoch bewegt sich die gegenwärtige Politik in Berlin just in diese Richtung.

Als 2005/2006 im Süden Afghanistans die kanadischen Einheiten während der Offensive der wieder erstarkten Taliban unter schweren Beschuss gerieten, erfolgte damals ein dramatischer Hilferuf im Bündnis. Die kanadische Armee hatte innerhalb kurzer Zeit über 60 tote Soldaten zu beklagen. Und schon damals waren vor allem die Deutschen gemeint. Die Bundesregierung aber stellte sich taub, und weder Parlament noch deutsche Öffentlichkeit nahmen dieses Hilfeersuchen jemals wirklich zur Kenntnis.

Auch Italien und Frankreich hatten sich in Afghanistan militärisch zurückgehalten, aber diese beiden Nationen übernahmen – gewissermaßen zum Ausgleich – im Sommer 2006 die Führung der riskanten UN-Militärmission im Libanon, nachdem der Krieg Israels mit der schiitischen Hisbollah beendet worden war. Und auch im Libanon hielt sich Deutschland im tiefen Hintergrund. Man engagierte sich mit der Marine für die Überwachung der libanesischen Küste, wo es aber faktisch nichts zu tun gibt.

Nun ist der Einsatz deutscher Soldaten alles andere als populär in Deutschland. Und dass sich das Land mit Militäreinsätzen aufgrund seiner Geschichte schwertut, ist kein Mangel, sondern vielmehr ein großer Fortschritt. Zudem liegt gemäß dem Grundgesetz die letzte Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland nicht bei der Bundesregierung, sondern beim Parlament.

Aus all diesen Gründen bedarf es in der Frage deutscher Militäreinsätze immer der engagierten Überzeugungsarbeit und der Führung durch die Bundesregierung und hier vor allem der Bundeskanzlerin. Ohne das direkte und glaubwürdige Engagement der Kanzlerin wird es schwer werden, einen Militäreinsatz mehrheitsfähig zu machen oder mehrheitsfähig zu halten. Und dies gilt im Falle Afghanistan ganz besonders, da die Risiken dort für die eingesetzten Soldaten ganz erheblich sind.

In dieser Frage – und auch das ist bereits heute absehbar – wird sich durch Hinhalten und Zeitablauf nichts zum Besseren wenden. Denn die nächste amerikanische Regierung wird (egal, wer sie stellen wird) den Druck auf Deutschland massiv erhöhen.

Am Ende wird die Bundesregierung unter diesem Druck doch nachgeben und ein neues Mandat im Bundestag beantragen müssen.

Nur was ist das für eine Politik, die am Ende einen doppelten Schaden – Vertrauensverlust in die deutsche Verlässlichkeit und Bündnisfähigkeit und einen Einsatz deutscher Soldaten im Süden Afghanistans! – sehenden Auges ansteuert? Berlin weiß ganz genau, dass es eigentlich nur Ja sagen kann, da es um die Zukunft der Nato insgesamt geht. Und man musste dies von Anfang an wissen.

Hätte die Bundesregierung auf den Hilferuf der Kanadier sofort positiv reagiert, so wäre damals Deutschland in der Lage gewesen, auf den Prozess in Afghanistan entscheidend gestaltend Einfluss zu nehmen. Als quasi Garantiemacht der Petersberg-Konferenz von Bonn im Jahre 2001 wäre Deutschland durch eine Ausweitung seines militärischen Engagements auch in der Lage gewesen, eine kritische Überprüfung der amerikanischen Afghanistan-Strategie zu fordern, was im Lichte der Ereignisse dringend notwendig gewesen wäre.

Und nur Deutschland wäre dazu dank seines diplomatischen und militärischen Gewichts in Afghanistan in der Lage gewesen. Aber dies hätte der entschiedenen Führung durch die Bundesregierung und vor allem durch die Bundeskanzlerin bedurft.

Dazu ist es leider nicht gekommen. Stattdessen erodiert die innenpolitische Legitimation des deutschen Afghanistaneinsatzes, weil es statt Führung ein Führungsvakuum gibt.

Afghanistan ist alles andere als eine verlorene Sache. Und anders als im Irak liegen zwingende politische Gründe – der 11. September 2001 – und die völkerrechtliche Legitimation durch die entsprechenden Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats vor, warum sich der Westen in diesem durch mehr als zwei Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg verheerten Land engagiert.

Allerdings sind weder die amerikanische Strategie, die bisher viele zivile Opfer gefordert hat, noch die europäische Zurückhaltung, die sich im Wesentlichen auf den militärischen Beitrag zum Wideraufbau in den weniger umkämpften Regionen konzentriert hat, dazu angetan, den Kampf um die Zukunft dieses für die Sicherheit des Westens wichtigen Landes zu gewinnen.

Und eine weitere Gefahr wird sich in den kommenden Wochen für die deutsche Politik auftun, nämlich ihre Isolation im Bündnis. Denn Frankreich wird seine Politik der Zurückhaltung revidieren und sich verstärkt militärisch engagieren. Dann aber bekommt die ablehnende Haltung Deutschlands neben der transatlantischen noch eine europäische Dimension.

Denn eine europäische Sicherheitspolitik wird es nur geben können, wenn die drei großen europäischen Mitgliedsstaaten der EU eine gemeinsame Politik verfolgen und dafür auch die notwendigen militärischen Fähigkeiten bereitstellen. Während der kommenden französischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 wird dies wohl zum zentralen Thema werden, und dabei werden sich erneut alle Augen auf Deutschland richten.

Auch in dieser, für die Zukunft Europas in einer unsicheren und sich dramatisch verändernden Welt entscheidenden, Frage wird es der strategischen Weitsicht und des Muts zum Engagement seitens der Regierungschefin bedürfen. Sie hat ihn als Ratspräsidentin der EU in der Sache Reformvertrag erfolgreich bewiesen. Die zukünftigen Entscheidungen werden allerdings innenpolitisch alles andere als populär sein.

Umso mehr wird es deshalb auf Angela Merkel ankommen.

ZEIT online06/2008