Montag, 28. Januar 2008

Bush scheitert in Gaza

Kleine Schritte nach vorn, große zurück? Im Nahen Osten ist nur das Utopische realistisch, nämlich ein Ausweg, den alle akzeptieren können.

Zwei Ereignisse der vergangenen Tage haben offensichtlich werden lassen, dass die jüngste amerikanische Nahostinitiative von Anfang an auf Treibsand gebaut war: die Reise des amerikanischen Präsidenten in die Region und der eskalierende Konflikt zwischen Israel und Hamas in Gaza.

Die Konferenz von Annapolis verfolgte drei Ziele, die miteinander eng verbunden waren, nämlich erstens einen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern auf der Grundlage einer zu verhandelnden Zwei-Staaten-Lösung. Dadurch sollten zweitens die Voraussetzungen für eine antiiranische Koalition der prowestlichen arabischen Staaten, Israels und der USA geschaffen werden, um so die durch den Irakkrieg erheblich gesteigerte Macht Irans in der Region zu begrenzen oder gar zurückzudrängen. Und drittens sollten auf mittlere Sicht dadurch die Voraussetzungen für eine amerikanische Truppenreduzierung oder gar den völligen Abzug aus dem Irak geschaffen werden.

George Bushs Reise an den Persischen Golf und nach Saudi-Arabien erwies sich am Maßstab dieser Ziele allerdings als Enttäuschung. Die Könige, Emire und Präsidenten hörten ihm zwar freundlich zu, zeigten ihm wunderschöne Jagdfalken und prächtige Araberhengste und vereinbarten auch umfängliche amerikanische Waffenlieferungen.

Aber bezüglich des eigentlichen politischen Zwecks dieser Reise, nämlich der Stärkung der antiiranischen Koalition und verstärkten Isolierung Irans hielten die gastgebenden Regierungen eine freundliche, aber bestimmte Distanz zu den Plänen des US-Präsidenten. Von ihm erwarten sie keine Lösungen mehr, da seine Tage gezählt sind.

Zudem hat sich in Saudi-Arabien, der wichtigsten Regionalmacht in dieser antiiranischen Koalition, offensichtlich jener Flügel in der Herrscherfamilie durchgesetzt, der die Möglichkeiten eines diplomatischen Containments Irans am Golf noch nicht für erschöpft hält. Eine solche Strategie weist zeitlich aber eindeutig über Bush und seinen Vizepräsidenten Cheney hinaus und orientiert sich vielmehr an dem nächsten amerikanischen Präsidenten, wer immer dies auch sein wird.

Einen noch heftigeren, ja vielleicht sogar finalen Rückschlag hat die amerikanische Initiative nun durch die Ereignisse in Gaza erlitten.

Die bisherige israelische und amerikanisch-westliche Strategie angesichts der bei den letzten freien und geheimen Wahlen in den Palästinensergebieten erfolgreichen radikalislamischen Hamas richtete sich auf ihre umfassende Isolierung. Diese Strategie galt erst recht nach dem kurzen und blutigen Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah in Gaza, der mit einem Kollaps der Fatah und ihrer zahlenmäßig überlegenen Streitkräfte endete.

Hamas hält an der Rückeroberung ganz Palästinas fest und damit auch an der Zerstörung des Staates Israel. Konsequenterweise lehnt Hamas die von der palästinensischen Regierung unterzeichneten internationalen und mit Israel getroffenen Vereinbarungen ab und sieht im Terror eine legitime Waffe gegen Israel.

Auf dieser politischen Grundlage war für den Westen eine Zusammenarbeit mit einer von Hamas geführten Regierung nicht möglich. Alle Angebote, die vor allem die EU gemacht hatte und die eine Veränderung dieser Positionen anstrebten, wurden von Hamas abgelehnt.

Der Westen, vorneweg die USA, setzte stattdessen allein auf Präsident Abbas und seine Fatah, die freilich von Hamas zuerst bei den Wahlen und anschließend im Bürgerkrieg von Gaza geschlagen wurde.

Sowohl in Ramallah als auch in Jerusalem geht man sogar davon aus, dass ohne die massive Präsenz israelischer Sicherheitskräfte in der Westbank auch diese Region von Hamas übernommen werden würde. Die palästinensische Verwaltung, ebenso wie die Fatah als politische Partei, die diese Verwaltung in den Händen hält, wird in den Augen der Mehrheit der Palästinenser als korrupt und unfähig angesehen. Zudem zeitigt ihre Verhandlungsstrategie mit Israel keine greifbaren Erfolge.

Ganz anders hingegen agiert Hamas. Sie rüstet im Gazastreifen nach wie vor auf. Fast täglich gehen auf israelische Städte und Dörfer an der Grenze zu Gaza zahlreiche Raketen nieder, und es ist nur der technischen Primitivität dieser Geschosse zu verdanken, dass bisher nicht mehr zivile Opfer auf der israelischen Seite zu beklagen waren. Israel schlägt militärisch zurück; begrenzt zwar, aber dennoch sind auch auf palästinensischer Seite zahlreiche Zivilsten unter den Opfern zu beklagen.

Durch die völlige Isolierung des Gazastreifens sollte Hamas in die Knie gezwungen werden. Diese Strategie hatte aber einen entscheidenden Fehler, denn sie traf vor allem die Masse der palästinensischen Zivilbevölkerung. Hamas nutzte die sich dramatisch verschlechternde humanitäre Situation in Gaza, um sich in der arabischen Welt und in der internationalen Öffentlichkeit als Opfer darzustellen.

Mit dem kollektiven Ausbruch von Hunderttausenden aus Gaza ist Hamas jetzt ein brillanter strategischer Schachzug gelungen. Geschickt wurde hier eine Symbolik der Befreiung instrumentalisiert. Der Ausbruch und der Mauerfall waren wohl vorbereitet und organisiert und machen die tatsächlichen Ursachen für die palästinensische Misere und die wahren Absichten von Hamas, die nichts mit Freiheit zu tun haben, vergessen.

Die Folgen dieser Woche werden noch lange zu spüren sein: Erstens sind Abbas und seine Fatah schwächer denn je. Seine Hoffnung, die unterlegene innenpolitische Lage durch einen Friedensvertrag mit Israel überwinden und damit gegenüber Hamas mittels einer Volksabstimmung über den Vertrag die Oberhand zurückgewinnen zu können, hat sich erledigt. Ein Verhandlungsprozess mit Abbas allein wird infolgedessen noch fragwürdiger als bisher.

Zweitens sind dadurch die arabischen Staaten – vorneweg Ägypten – unter einen enormen, humanitär begründeten Druck gesetzt worden, sich mit den Palästinensern in Gaza und damit de facto mit Hamas zu solidarisieren, dem sie nicht ausweichen können. Dies wird jede Isolierungsstrategie gegenüber Hamas in Zukunft hinfällig machen, mit der Konsequenz, dass Hamas im Gazastreifen weiter aufrüsten und die Bedrohung von Israel zunehmen wird.

Drittens findet sich Israel in der Wahl zwischen Pest und Cholera wieder: Entweder wird die Aufrüstung der Hamas mit immer genauer zielenden und weiter reichenden Raketen und damit die Bedrohung für Israel und seine Bürger zunehmen, oder Israel entschließt sich zu einer militärischen Invasion in den Gazastreifen, die viele Opfer unter der Zivilbevölkerung und weder eine militärische noch eine politische Lösung bringen wird.

Israel ist Hamas zwar militärisch haushoch überlegen, kann aber sein militärisches Potenzial nicht voll ausspielen, ohne weite Teile der Zivilbevölkerung zu treffen. Dies würde aber erneut nur Hamas in die Hände spielen und Israel international unter schweren Druck setzen und am Ende sogar isolieren.

Auch die Hoffnung mancher in Jerusalem, die Palästinenser in Gaza und auf der Westbank an Ägypten und Jordanien zurückgeben zu können, unterliegt einer gefährlichen Illusion. Denn beide Staaten sind im Kern keineswegs stabil, und eine Rückübernahme dieser beiden palästinensischen Territorien könnte die Destabilisierung von Jordanien und Ägypten akut werden lassen.

Und viertens kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben, wenn es nicht gelingt, die Ablehnungsfront aufzuweichen, und zumindest wesentliche Teile von Hamas und der hinter ihr stehenden Staaten wie Syrien und Iran einzubinden. Damit hätte sich aber die jüngste amerikanische Friedensinitiative erledigt.

Im Nahen und Mittleren Osten sind, dank der Destabilisierung der Region durch den Irakkrieg der USA und dessen regional fataler Folgen, die verschiedenen Einzelkrisen mittlerweile so eng miteinander verflochten, dass es kaum noch möglich sein wird, zu erfolgreichen Teillösungen zu kommen.

Israel/Palästina, Libanon/Syrien, Irak/Iran/Syrien, Saudi-Arabien/die Golfstaaten/Iran – für alle diese Teilkrisen wird die nächste amerikanische Regierung gemeinsam mit den Europäern und den anderen beiden ständigen Sicherheitsratsmitgliedern einen regionalen Gesamtausgleich suchen müssen, in dem sich die legitimen Interessen aller Staaten und Völker wiederfinden.

Dieser Regionalansatz muss selbstverständlich die Anerkennung des Existenzrechts Israels als jüdischen Staats umfassen, die Unabhängigkeit Libanons, Syriens territoriale Integrität, die territoriale Integrität des Irak, die legitimen iranischen Sicherheitsinteressen und die Stabilität am Golf und auf der arabischen Halbinsel.

Diese regionale Sicherheitsordnung muss auch für die Völker ohne Staaten Lösungen bringen, wie die Palästinenser. Und auch auf die Kurdenfrage wird eine Antwort gefunden werden müssen, die einen Ausgleich zwischen den Interessen der Kurden und den betroffenen Staaten in der Region – Irak, Türkei, Iran und Syrien – zur Grundlage haben muss.

Denn nur wenn am Ende bei einem regionalen Ausgleich alle Beteiligte mehr gewinnen als verlieren können, wird solch ein schwieriges Unterfangen gelingen können. Unmöglich ist es nicht.

Die Alternative zu einem regionalen Ausgleich, garantiert durch ein regionales Sicherheitssystem, ist der Krieg aller gegen alle, eine galoppierende Radikalisierung und Chaotisierung, ja perspektivische Revolutionierung dieser strategisch so überaus wichtigen Region.

Allerdings werden die USA diese große Aufgabe niemals allein bewältigen können. Europa wird in seiner Nachbarregion, in der es Sicherheitsinteressen hat, mit einer neuen Verantwortung konfrontiert werden, der es sich nicht wird entziehen dürfen.

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