Montag, 21. Januar 2008

Ein besonderes Paar

Diese Woche wandert der Blick nach Frankreich. Aber aus anderen Gründen als den sattsam bekannten.

Keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, ich will hier nicht den x-ten Beitrag zu Nicolas und Carla liefern. Mir geht es vielmehr um Angela und Nicolas, um Kanzlerin und Präsident und um die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen. Denn in einem sich schnell und radikal verändernden internationalen Umfeld hat beiderseits des Rheins eine neue Generation die Schalthebel der Regierungsmacht übernommen. Damit wird ein neues Kapitel im Buch der deutsch-französischen Beziehungen begonnen.

Na und? So werden sich manche Leser jetzt fragen? Trägt denn das deutsch-französische Verhältnis in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten überhaupt noch eine große Bedeutung? Die Antwort ist ein eindeutiges Ja.

Denn nach wie vor gilt in der Europäischen Union der unveränderte Grundsatz, dass, wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind und zugleich die anderen Mitgliedstaaten nicht ausschließen, auch in der erweiterten Union fast alles möglich ist. Wenn sich hingegen diese beiden großen Gründerstaaten nicht einigen, dann geht in Europa so gut wie nichts voran.

Auch die erweiterte Union bleibt im Kern auf die Überwindung des deutsch-französischen Widerspruchs aufgebaut, der das späte 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf so fatale Weise geprägt hat.

Die politische Kultur und die Mentalitäten der Deutschen und Franzosen könnten unterschiedlicher nicht sein, und sie beeinflussen das Verhältnis dieser Nachbarn bis auf den heutigen Tag.

Frankreich glaubt nach wie vor an seinen kulturell-politischen Exzeptionalismus. Der Gedanke an eine historische Mission der Deutschen hingegen hat sich gründlich desavouiert. Frankreich sieht sich bis heute als eine Macht mit globalem Anspruch, während Deutschland nach wie vor große Schwierigkeiten hat, sich selbst überhaupt als Macht zu sehen und zu definieren. Die Franzosen sind geborene Zentralisten und leben in einer Art Wahlmonarchie, die Deutschen hingegen sind geborene Föderalisten, die auf ihre Kurfürsten in den Ländern nicht verzichten wollen und nahezu jeder Zentralisierung misstrauen.

All diese Unterschiede haben das deutsch-französische Verhältnis schon immer bestimmt. Und auch die Tatsache, dass sich das Personal in den Regierungs- und Staatsspitzen bisweilen so zugetan ist wie Hund und Katze im wirklichen Leben, ist alles andere als eine Neuheit. Die französische Latinität und der deutsche Protestantismus haben eben recht unterschiedliche politische Kulturen hervorgebracht.

Betrachtet man nun aber den Beginn jenes in den vergangenen Monaten aufgeschlagenen Kapitels der deutsch-französischen Beziehungen, so gestaltete er sich durchaus ansprechend, denn trotz aller medialer Aufgeregtheiten um persönliche Extravaganzen und Stilunterschiede haben Deutschland und Frankreich in der Frage des Reformvertrags der EU erfolgreich zusammengearbeitet.

Die Haltung Frankreichs gegenüber den neuen Mitgliedstaaten in der EU ist wesentlich offener und freundlicher geworden, was die innere Integration der EU befördern wird. Der Regierungswechsel in Polen eröffnet überdies eine neue Chance auch für das sogenannte „Weimarer Dreieck“ (Paris-Warschau-Berlin) sowie für eine effizientere gemeinsame Russlandpolitik der EU.

Da sollte man meinen, dass aufgrund der von Präsident Sarkozy vorgenommenen Korrektur der französischen Nahost- und Amerikapolitik der Zuwachs an deutsch-französischer Gemeinsamkeit die Handlungsfähigkeit der EU im Nahen Osten stärken müsste.

Leider lässt sich dies bis heute nicht feststellen.

Stattdessen ziehen am deutsch-französischen Horizont Wolken auf, die nicht ignoriert werden sollten, weil sich daraus für Europa ernste Probleme ergeben könnten. Einerseits sind dies Konflikte, die sich aus mangelnder Abstimmung und einem Hang zu Alleingängen ergeben, wie etwa die Idee der „Mittelmeerunion“.

Ein paralleles Unternehmen zum EU-internen „Barcelonaprozess“ würde den Zusammenhalt der Union in dieser strategisch wichtigen Region gefährden, die europäische Politik daher schwächen und auch unnötigerweise die Frage der Finanzsolidarität innerhalb der EU aufwerfen. Andererseits hätte der daniederliegende „Barcelonaprozess“ innerhalb der EU tatsächlich einen Energieschub und neue Ideen dringend nötig.

Derlei Reibereien werden sich vermutlich mit der Zeit wohl abfedern lassen. Zunehmend aber werden die Konturen tieferer Widersprüche sichtbar, die Anlass zu ernsterer Sorge geben, sollten sich beide Seiten nicht darum kümmern.

Zwar hat Präsident Sarkozy die traditionelle Politik Frankreichs gegenüber den USA und der Nato revidiert, aber in der Wirtschafts- und Industriepolitik betreibt er eine Renationalisierung. Die französische Wirtschaftspolitik – und nicht nur sie – zielt darauf, nicht europäische Champions zu schaffen, sondern nationale.

Das wird erstens zu einer Blockade der dringend nötigen weiteren Integration des Binnenmarktes führen, da andere Regierungen diesem Beispiel nolens volens folgen werden. Wirtschaftliche Integration beruht auf Gegenseitigkeit.

Und zweitens wird eine wirtschaftliche Renationalisierung zu Lasten der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in strategischen Bereichen gehen, weil die Rivalität im Binnenmarkt zunehmen und der Aufbau europäischer Unternehmen nicht wirklich vorankommen wird.

Frankreich hat die Anpassung seiner Volkswirtschaft und Sozialsysteme an die neue Wirklichkeit der Globalisierung und einer immer älter werdenden Gesellschaft in den vergangenen Jahren nur unzureichend vorgenommen. Das hat negative Auswirkungen auf die öffentliche Verschuldung, auf den Außenhandel und auf Frankreichs Haltung gegenüber der europäischen Währungsunion.

Ausgehend von den USA kommt gegenwärtig auf die Weltwirtschaft und auch auf Europa ein finanzpolitischer Sturm zu, von dem man noch nicht weiß, ob er sich zu einem weltwirtschaftlichen Orkan entwickeln wird. Das kann den Euro und den Zusammenhalt der Eurozone zum ersten Mal einem wirklichen Härtetest unterziehen.

Die Hoffnung von Nicolas Sarkozy, dem inneren Reformdruck partiell dadurch entgehen zu können, indem er die strikten geldpolitischen Regeln und Ziele der Europäischen Zentralbank aufzuweichen versucht, muss aber unweigerlich in einen ernsten Konflikt mit Deutschland führen. Denn keine deutsche Regierung kann dies jemals akzeptieren. In dem sich entwickelnden negativen weltwirtschaftlichen Umfeld können solche Vorschläge noch sehr viel mehr an europapolitischer Brisanz entwickeln.

Andererseits bietet die Präsidentschaft Sarkozys eine große Chance, den traditionellen Widerspruch zwischen Nato und EU zu überwinden, bis hin zur Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration der Nato. Damit würde die Blockade der europäischen Sicherheitspolitik aufgebrochen.

Deutschland muss sich hier fragen – zumal es eine stärkere und international handlungsfähigere EU will –, ob es jetzt nicht an der Zeit ist, die Vorschläge der kommenden französischen EU-Präsidentschaft zu einer Verstärkung der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik massiv zu unterstützen. Dies hieße aber auch ein Mehr an deutschen Investitionen in Sicherheit und eine verstärktes Engagement Deutschlands, gemeinsam mit seinen Partnern, im internationalen Krisenmanagement.

Das deutsch-französische Paar kann jetzt europäische Führung zeigen, wenn es sich in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik und in der europäischen Sicherheitspolitik auf eine gemeinsame Politik einigen würde, die andere mitnimmt und nicht ausschließt. Dann könnte Europa nach dem Reformvertrag einen weiteren großen Schritt nach vorne machen, und zwar in zunehmend schwierigen Zeiten.

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