Wer wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten? Die bisherigen Vorwahlen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben nicht allzu viel zur Klärung dieser nicht ganz unwichtigen Personalie beigetragen.
Um bereits heute zu prognostizieren, wie der nächste amerikanische Präsident heißen wird, bedürfte es angesichts der unübersichtlichen Kandidatenlage wahrhaft hellseherischer Fähigkeiten. Das Verhältnis der USA zu Europa und zu den Grundsätzen der internationalen Politik lassen sich aber bereits heute absehen.
Wenn man die aus tiefer Frustration über die Politik der gegenwärtigen US-Regierung entstandenen Hoffnungen zahlreicher Menschen (und Regierungen) in Europa betrachtet, so wird es am Wahltag in den USA eines mittleren politischen Wunders bedürfen, um diese Hoffnungen auf einen fundamentalen Wandel der amerikanischen Außenpolitik nicht zu enttäuschen. Man kann aber bereits jetzt feststellen, dass es zu einem solchen Wunder – wer immer auch gewählt wird – nicht kommen wird.
Gewiss, die Regierung Bush hat zahlreiche außenpolitische Fehler mit weitreichenden Folgen gemacht – vorneweg der Irakkrieg und die damit einhergehende Destabilisierung des Nahen und Mittleren Osten. Und – heilige Dialektik! – dieser Präsident, der mit einem Programm globaler amerikanischer Überlegenheit angetreten war, hat durch seine Innen- wie Außenpolitik das gerade Gegenteil seiner erklärten Ziele erreicht, denn Amerikas Position ist heute erheblich schwächer als zu Beginn seiner Amtszeit.
Auch die Kluft zwischen Amerika und Europa hat sich in dieser Zeit weiter vertieft. Aber George W. Bush hat weder den Unilateralismus der USA erfunden noch die transatlantische Drift zwischen den USA und Europa ausgelöst. Gewiss, er hat diese beiden den Westen (im wesentlichen Amerika und Europa) schwächenden Trends erheblich verstärkt, aber deren eigentliche Ursachen liegen nicht in seiner Politik begründet. Sie haben vielmehr objektiv historische Gründe, die sich aus dem Ende des Kalten Kriegs, der damit einhergehenden alleinigen Weltmachtrolle Amerikas und der selbstverschuldeten Schwäche Europas ergeben haben.
Solange dieses Faktum für die USA fortgilt, nämlich die alleinige Weltmacht zu sein, solange wird auch der nächste amerikanische Präsident, wer immer es sein mag, an der Grundkonstellation amerikanischer Außenpolitik nicht wirklich etwas ändern können und ändern wollen.
Jenseits dieser Grundausrichtung der amerikanischen Außenpolitik wird allerdings die erste zentrale Weichenstellung in den kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen darin bestehen, ob ein Kandidat gewählt wird, der die Außenpolitik von George W. Bush fortzusetzen oder gar noch zu eskalieren gedenkt (Rudi Guliani etwa), oder ob es zu einer tatsächlichen Neuausrichtung kommen wird.
Sollte das Erstere der Fall sein, so wird sich die transatlantische Kontinentaldrift dramatisch verstärken. Denn weitere vier bis acht Jahre einer amerikanischen Politik, die dem Vorbild der jüngsten Vergangenheit folgte, würden dem transatlantischen Bündnis einen existenzbedrohenden Substanzschaden zufügen.
Im Fall eines echten Wechsels der amerikanischen Politik wird diese wieder multilateraler werden, stärker auf internationale Institutionen und Bündnisse setzen und das Verhältnis von Militär und Diplomatie wieder mehr in die traditionellen Bahnen der amerikanischen Außenpolitik zurückführen. Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht lautet hingegen, dass sich die Weltmacht Amerika auch unter solch erfreulicheren Bedingungen nicht von einer „Politik der freien Hand“ verabschieden und dass sie ebenso wenig ihren Überlegenheitsanspruch gegenüber allen anderen Mächten und Partnern vergessen wird. Und dass eine mehr multilateral ausgerichtete amerikanische Politik den Druck vor allem auf die Europäer erheblich verstärken wird, mehr Verantwortung für die internationale Krisenbewältigung und Konfliktlösung zu übernehmen: Afghanistan, Irak, Iran, Nahost, Transkaukasien, Russland, aber auch die Zukunft der Türkei, um nur einige der Probleme zu benennen. Europa sollte die Punkte Afrika, Klimaschutz, UN-Reform und Welthandelssystem in diese gemeinsame Agenda einfügen.
Europa unterschätzt seit längerer Zeit sein Gewicht und seine Bedeutung für die Entwicklung anderer Mächte außerhalb Europas und des internationalen Systems im 21. Jahrhundert. So sendet zum Beispiel die anhaltende Schwäche des europäischen Auftretens sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber den USA fatale Signale, die dort in Politiken umgesetzt werden, die sichtbar in falsche Richtungen führen.
Sowohl die Form des europäischen Einigungsprozesses, also die Integration der Interessen souveräner Staaten mittels gemeinschaftlicher Institutionen, sein neues Modell von Machtprojektion, nämlich einen dauerhaften kontinentalen Frieden durch Entwicklung und Integration von ganzen Volkswirtschaften, Staaten und Gesellschaften zu schaffen (der EU-Erweiterungsprozess) als auch die geopolitische Lage Europas und sein politisches, wirtschaftliches und soziales Gewicht könnten eigentlich den entscheidenden Beitrag für die Gestaltung einer kooperativen Weltordnung im 21. Jahrhundert leisten. Denn dieses objektive Gestaltungspotenzial des neuen Europa ist international allen anderen gegenwärtigen politischen Ordnungsansätzen in Sachen Modernität, Fortschritt und Frieden um Längen überlegen.
Könnte, wie gesagt! Tut es aber nicht, weil es da auf der anderen Seite die europäische Zerstrittenheit und Uneinigkeit gibt, welche die EU schwach und nur eingeschränkt handlungsfähig macht. Objektiv stark, subjektiv kurz vor dem Siechenhaus, so ließe sich in polemischer Überspitzung die gegenwärtige Verfasstheit der EU politisch auf den Punkt bringen. Deshalb konnte Europa auch das von der Politik George W. Bushs geschaffene Vakuum nicht füllen, und dadurch wurde die Krise des Westens in den vergangenen sieben Jahre noch erheblich verstärkt.
Der amerikanische Schwächeanfall ereignet sich nun in einem wesentlich veränderten weltpolitischen Umfeld, das vor allem durch die Grenzen der amerikanischen Weltmacht, die Schwäche Europas und den Aufstieg neuer globaler Giganten, wie China und Indien, bestimmt wird.
Hat angesichts dieser globalen Entwicklungen der Begriff des Westens überhaupt noch Sinn? Ich meine, mehr denn je. Denn durch eine Trennung würden beide Seiten des Atlantiks wesentlich schwächer werden, als wenn man auch in Zukunft an der Gemeinsamkeit des Westens festhielte. Allerdings werden beide Seiten in diese Zukunft ernsthaft investieren müssen. Die bloße Traditionspflege des herkömmlichen Transatlantismus wird für diese Zukunft nicht ausreichen.
Die unilaterale Überdehnung amerikanischer Macht bietet für einen Neubeginn in den amerikanisch-europäischen Beziehungen auch eine Chance. Amerika wird mehr als früher auf starke Partner angewiesen sein und solche Partnerschaften suchen. Die Europäer sollten daher nicht abwarten, bis ein neuer US-Präsident oder eine neue Präsidentin ihnen Forderungen stellt, sondern jetzt mit Ideen und Angeboten vorangehen.
Warum nicht damit beginnen, den traditionellen Widerspruch zwischen Nato und EU zu überwinden, zumal sich unter Sarkozy die französische Politik gegenüber dem Bündnis positiv verändert? Eine gegenseitige regelmäßige Präsenz der politischen Führungsspitzen in den politischen Gremien beider Organisationen bedarf keines großen Aufwandes.
Warum die EU-US-Konsultationen (unter Teilnahme des Nato-Generalsekretärs in Sicherheitsfragen) nicht auf eine höhere politische Ebene heben, indem etwa die amerikanische Außenministerin und andere Kabinettsmitglieder wie Finanz- oder Umweltminister etc. mehrmals jährlich an den Sitzungen der entsprechenden EU-Räte teilnehmen? Warum nicht ein regelmäßiges jährliches Treffen zwischen dem Europäischen Rat und dem US-Präsidenten?
Ebenso wären regelmäßige Treffen zwischen den Fachausschüssen von amerikanischem Repräsentantenhaus und Senat und dem Europäischen Parlament von großer Bedeutung, da am Ende (zumeist) die Parlamente internationale Verträge ratifizieren müssen. Das Schicksal des Kyoto-Protokolls sollte allen Beteiligten eine Lehre sein.
Neue Gemeinsamkeiten und mehr gemeinsame Verantwortung setzen einen neuen Prozess der Kooperation und Koordination über den Atlantik hinweg voraus. Und ein solcher Prozess kann jederzeit im Rahmen der bestehenden Verträge und Institutionen angestoßen werden. Es bedarf dazu nur der Kreativität und des politischen Willens aller Beteiligten.
Eine Gewissheit kann man in Europa aber bereits heute aus dem US-Wahlkampf mit nach Hause nehmen: Mit jenem bequemen weltpolitischen Windschattenfahren der Europäer wird es bei einer mehr multilateral ausgerichteten amerikanischen Außenpolitik sehr schnell vorbei sein. Und das ist gut so. Mehr Mitentscheidung gegen mehr Mitverantwortung – so sollte die neue transatlantische Formel lauten.
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