Montag, 4. Februar 2008

Afghanische Klemme

Mangels politischer Führung schliddert die Bundesregierung sehenden Auges in eine Bündniskrise. Nun muss die Kanzlerin zeigen, was sie kann.


Aussitzen und Nichtstun sind in der Politik bisweilen eine Tugend. Wenn ein solches Verhalten aber auf Problemverdrängung und nicht Problemlösung hinausläuft, dann zeitigt eine solche Strategie der kalkulierten Passivität meist fatale Folgen. Genau eine solche Entwicklung droht gegenwärtig Deutschland in der Causa Afghanistan.

Was sich jetzt zwischen den USA und der Nato auf der einen Seite und der Bundesregierung auf der anderen Seite abspielt, war seit zwei Jahren abzusehen.

Der amerikanische Verteidigungsminister hat an seinen deutschen Kollegen einen Brandbrief geschrieben, in dem er in wenig diplomatischen Worten eine Beteiligung deutscher Soldaten an den Kämpfen gegen die Taliban im Süden des Landes und insgesamt eine Verstärkung des deutschen Militärbeitrags forderte.

In Afghanistan geht es um sehr viel für die Nato, nämlich erstens um Sieg oder Niederlage am Boden. Und zweitens daher um die Zukunft des Bündnisses insgesamt. Und Deutschland läuft in dem seit Langem unter der Decke schwelenden Konflikt, der jetzt öffentlich sichtbar wurde, Gefahr, als Hauptverantwortlicher für ein mögliches Scheitern der Nato in Afghanistan gesehen zu werden.

Sollte dieser Fall eintreten, so würde er für die deutsche Außenpolitik den Maximalschaden bedeuten. Eigentlich darf keine Bundesregierung dies zulassen, aber dennoch bewegt sich die gegenwärtige Politik in Berlin just in diese Richtung.

Als 2005/2006 im Süden Afghanistans die kanadischen Einheiten während der Offensive der wieder erstarkten Taliban unter schweren Beschuss gerieten, erfolgte damals ein dramatischer Hilferuf im Bündnis. Die kanadische Armee hatte innerhalb kurzer Zeit über 60 tote Soldaten zu beklagen. Und schon damals waren vor allem die Deutschen gemeint. Die Bundesregierung aber stellte sich taub, und weder Parlament noch deutsche Öffentlichkeit nahmen dieses Hilfeersuchen jemals wirklich zur Kenntnis.

Auch Italien und Frankreich hatten sich in Afghanistan militärisch zurückgehalten, aber diese beiden Nationen übernahmen – gewissermaßen zum Ausgleich – im Sommer 2006 die Führung der riskanten UN-Militärmission im Libanon, nachdem der Krieg Israels mit der schiitischen Hisbollah beendet worden war. Und auch im Libanon hielt sich Deutschland im tiefen Hintergrund. Man engagierte sich mit der Marine für die Überwachung der libanesischen Küste, wo es aber faktisch nichts zu tun gibt.

Nun ist der Einsatz deutscher Soldaten alles andere als populär in Deutschland. Und dass sich das Land mit Militäreinsätzen aufgrund seiner Geschichte schwertut, ist kein Mangel, sondern vielmehr ein großer Fortschritt. Zudem liegt gemäß dem Grundgesetz die letzte Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland nicht bei der Bundesregierung, sondern beim Parlament.

Aus all diesen Gründen bedarf es in der Frage deutscher Militäreinsätze immer der engagierten Überzeugungsarbeit und der Führung durch die Bundesregierung und hier vor allem der Bundeskanzlerin. Ohne das direkte und glaubwürdige Engagement der Kanzlerin wird es schwer werden, einen Militäreinsatz mehrheitsfähig zu machen oder mehrheitsfähig zu halten. Und dies gilt im Falle Afghanistan ganz besonders, da die Risiken dort für die eingesetzten Soldaten ganz erheblich sind.

In dieser Frage – und auch das ist bereits heute absehbar – wird sich durch Hinhalten und Zeitablauf nichts zum Besseren wenden. Denn die nächste amerikanische Regierung wird (egal, wer sie stellen wird) den Druck auf Deutschland massiv erhöhen.

Am Ende wird die Bundesregierung unter diesem Druck doch nachgeben und ein neues Mandat im Bundestag beantragen müssen.

Nur was ist das für eine Politik, die am Ende einen doppelten Schaden – Vertrauensverlust in die deutsche Verlässlichkeit und Bündnisfähigkeit und einen Einsatz deutscher Soldaten im Süden Afghanistans! – sehenden Auges ansteuert? Berlin weiß ganz genau, dass es eigentlich nur Ja sagen kann, da es um die Zukunft der Nato insgesamt geht. Und man musste dies von Anfang an wissen.

Hätte die Bundesregierung auf den Hilferuf der Kanadier sofort positiv reagiert, so wäre damals Deutschland in der Lage gewesen, auf den Prozess in Afghanistan entscheidend gestaltend Einfluss zu nehmen. Als quasi Garantiemacht der Petersberg-Konferenz von Bonn im Jahre 2001 wäre Deutschland durch eine Ausweitung seines militärischen Engagements auch in der Lage gewesen, eine kritische Überprüfung der amerikanischen Afghanistan-Strategie zu fordern, was im Lichte der Ereignisse dringend notwendig gewesen wäre.

Und nur Deutschland wäre dazu dank seines diplomatischen und militärischen Gewichts in Afghanistan in der Lage gewesen. Aber dies hätte der entschiedenen Führung durch die Bundesregierung und vor allem durch die Bundeskanzlerin bedurft.

Dazu ist es leider nicht gekommen. Stattdessen erodiert die innenpolitische Legitimation des deutschen Afghanistaneinsatzes, weil es statt Führung ein Führungsvakuum gibt.

Afghanistan ist alles andere als eine verlorene Sache. Und anders als im Irak liegen zwingende politische Gründe – der 11. September 2001 – und die völkerrechtliche Legitimation durch die entsprechenden Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats vor, warum sich der Westen in diesem durch mehr als zwei Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg verheerten Land engagiert.

Allerdings sind weder die amerikanische Strategie, die bisher viele zivile Opfer gefordert hat, noch die europäische Zurückhaltung, die sich im Wesentlichen auf den militärischen Beitrag zum Wideraufbau in den weniger umkämpften Regionen konzentriert hat, dazu angetan, den Kampf um die Zukunft dieses für die Sicherheit des Westens wichtigen Landes zu gewinnen.

Und eine weitere Gefahr wird sich in den kommenden Wochen für die deutsche Politik auftun, nämlich ihre Isolation im Bündnis. Denn Frankreich wird seine Politik der Zurückhaltung revidieren und sich verstärkt militärisch engagieren. Dann aber bekommt die ablehnende Haltung Deutschlands neben der transatlantischen noch eine europäische Dimension.

Denn eine europäische Sicherheitspolitik wird es nur geben können, wenn die drei großen europäischen Mitgliedsstaaten der EU eine gemeinsame Politik verfolgen und dafür auch die notwendigen militärischen Fähigkeiten bereitstellen. Während der kommenden französischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 wird dies wohl zum zentralen Thema werden, und dabei werden sich erneut alle Augen auf Deutschland richten.

Auch in dieser, für die Zukunft Europas in einer unsicheren und sich dramatisch verändernden Welt entscheidenden, Frage wird es der strategischen Weitsicht und des Muts zum Engagement seitens der Regierungschefin bedürfen. Sie hat ihn als Ratspräsidentin der EU in der Sache Reformvertrag erfolgreich bewiesen. Die zukünftigen Entscheidungen werden allerdings innenpolitisch alles andere als populär sein.

Umso mehr wird es deshalb auf Angela Merkel ankommen.

ZEIT online06/2008

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