Montag, 25. Februar 2008

Französische Pläne

Wenn Frankreich den EU-Vorsitz übernimmt, geht's dann kraftvoll voran mit Europa - oder drohen unangenehme Konflikte?


Die EU befindet sich in einer merkwürdigen Phase ihrer Entwicklung. Europa schreitet einerseits erfolgreich voran: Zwei neue Mitglieder wurden in die Eurozone aufgenommen; der sogenannte Schengenraum wurde mit dem Wegfall der Binnengrenzen der osteuropäischen Mitgliedstaaten erweitert und manches mehr - aber all dies geschieht, während die EU faktisch auf Autopilot fliegt. Die politischen Piloten Europas schwächeln nämlich ganz erheblich.

Ein Autopilot ist ein Computer, in dem zuerst die Flugdaten eingegeben werden müssen und der dann während des Flugs anhand dieser Daten die Arbeit der Piloten übernehmen kann. Im Falle der EU ist der Autopilot die europäische Bürokratie, welche die Flugdaten (Beschlüsse der Räte, der Kommission und des Europäischen Parlaments) entsprechend umsetzt, und dies geschieht auf eine ziemlich effektive Weise.

Woran es gegenwärtig aber in der EU mangelt, ist die Eingabe neuer Flugdaten. Dazu bedarf es politischer Vorgaben und Führung.

Sollte der Reformvertrag (die Reform der EU-Institutionen) von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden, so würde dies ein entscheidender Schritt nach vorne sein, der den Autopiloten der EU ganz erheblich verbessern wird. Allerdings lägen dann immer noch keine neuen Flugdaten vor.

Und damit kommen wir zu jenem großen Andererseits, was den aktuellen Zustand der EU betrifft. Denn subjektiv ist die EU gespaltener, initiativloser und schwächer denn je.

Dies hängt sowohl mit dem Scheitern der EU-Verfassung und mit dem seit 2005 vollzogenen Personen- und Generationenwechsel in der politischen Führung wichtiger Mitgliedstaaten (Angela Merkel, Gordon Brown, Nicolas Sarkozy) zusammen als auch mit einer dramatischen Verschiebung der machtpolitischen Gewichte in der Weltwirtschaft und im internationalen politischen System.

In dieser eher trüben Lage wird daher der kommenden französischen EU-Präsidentschaft eine ganz besondere Bedeutung für Europa und für die Neudefinition der französischen Rolle innerhalb der erweiterten EU zukommen.

Hier stellt sich nun eine Grundsatzfrage an die kommende französische Präsidentschaft: Wird Frankreich seine EU-Präsidentschaft mitsamt den abzusehenden Initiativen, wie der Weiterentwicklung der EU-Verteidigungsfähigkeit und einer neue Mittelmeerinitiative, vorrangig zur Stärkung der EU nutzen wollen - oder nur zur Verbesserung der französischen Position innerhalb der erweiterten Union?

Die Antwort Frankreichs auf diese Grundfrage wird für die internationale Handlungsfähigkeit der EU den entscheidenden Unterschied ausmachen. Denn nur Nicolas Sarkozy wird in den kommenden zwei Jahren europapolitisch freie Hand haben: Angela Merkel geht auf die Bundestagswahlen zu, Gordon Brown kämpft um sein politisches Überleben, und die italienische Politik verspricht nach den kommenden Neuwahlen ebenfalls keine Hoffnung.

Angesichts der Politik von Präsident Sarkozy in den vergangenen Monaten ist allerdings Skepsis angebracht, ob er die EU-orientierte Option wählen wird. Vieles spricht für die zweite Option.

Und auch im deutsch-französischen Verhältnis bauen sich dunkel dräuende Wolken auf, die wenig Gutes für Europa verheißen.

Zwar ist es richtig, dass in der erweiterten EU ein Konsens zwischen Deutschland und Frankreich allein nicht mehr ausreicht, um entscheidende Initiativen in der Union voranzubringen. Aber ebenso richtig bleibt auch, dass Erfolge kaum möglich sind, wenn sich Deutschland und Frankreich nicht einigen.

Drei Konfliktfelder zeichnen sich im deutsch-französischen Verhältnis ab, die aus diesem Grund entschärft werden müssen:

Erstens: Die französische Idee einer „Mittelmeerunion“ jenseits der Strukturen der EU. Frankreich hat völlig recht mit seiner Kritik an der bisherigen EU-Mittelmeerpolitik, dem sogenannten „Barcelona-Prozess“. Dieser stagniert und hat bis heute kaum positive Resultate erzielt. Im Mittelmeerraum werden aber in Zukunft zentrale Sicherheitsinteressen der EU insgesamt entschieden. Wenn die französische Regierung deshalb nach einem Neuanfang in der Mittelmeerpolitik ruft, so ist das richtig und verdient eigentlich jede Unterstützung.

Eine parallele Mittelmeerpolitik der EU-Anrainerstaaten jedoch, außerhalb der EU-Außenpolitik und angeführt von Frankreich, würde die EU spalten und dadurch ihre Handlungsfähigkeit in diesem für Europas Sicherheit entscheidenden Raum schwächen. Dies wäre ein großer Rückschritt für die gemeinsame Außenpolitik der EU und liefe zudem gegen die Interessen der Nichtanrainerstaaten innerhalb der EU, angeführt von Deutschland.

Zweitens: Frankreich plant während seiner Präsidentschaft eine Verstärkung der EU-Verteidigungsfähigkeit. Dazu möchte Paris in die militärische Integration der Nato zurückkehren, um auf diese Weise Konflikte mit den USA abzubauen, wenn diese gleichzeitig bereit sind, ihren Widerstand gegen den Ausbau der EU-Verteidigungsfähigkeit aufzugeben. Auch dies ist eine weitreichende, vielleicht sogar historisch zu nennende Initiative, den Widerspruch zwischen Nato und EU-Verteidigungspolitik zu überwinden.

Sollte diese Initiative der französischen EU-Präsidentschaft gelingen, so würde dies zwar einen erheblichen Druck auf Deutschland nach sich ziehen, seine Verteidigungsausgaben und sein internationales militärisches Engagement im Rahmen von EU und Nato deutlich zu verstärken. Aber dies betrifft lediglich Defizite in der Verantwortungsbereitschaft der deutschen Regierung und müssen eben von dieser selbst behoben werden.

Denn ohne dass Deutschland als größter Mitgliedstaat seine Beiträge zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik signifikant und dauerhaft verstärkte, würde es mit einer stärkeren internationalen Rolle der EU kaum etwas werden. Man gibt sich zwar gerne europäisch in Berlin, blendet die unangenehmeren Konsequenzen Europas im Ernstfall aber dann doch lieber aus.

Auch dies ist also eine französische Initiative, die eigentlich die volle Unterstützung verdient. Die entscheidende Frage bleibt allerdings erneut, ob Frankreich mit dieser Initiative die sicherheitspolitische Stärkung der EU meint oder nicht vielmehr die Stärkung seiner eigenen Rolle in Europa.

Die Formel „mehr Europa“ wird auf volle Zustimmung stoßen. Die Formel „weniger USA und mehr Frankreich“ hingegen nicht.

Auch die Vorstellung, diese Initiative vor allem auf Frankreich und Großbritannien zu stützen, wird eher Widerstand als Unterstützung hervorrufen.

Drittens: Eine Lockerung des Kompromisses von Maastricht. Dieser mögliche Konfliktpunkt hat nicht unmittelbar mit der französischen Präsidentschaft zu tun und ist keineswegs neu. Gleichwohl könnte er in den kommenden Monaten erneut und in verschärfter Form auf dem europäischen und auch deutsch-französischen Tisch landen.

Mit der gemeinsamen europäischen Währung haben die beteiligten EU-Staaten einen wesentlichen Teil ihrer währungs- und finanzpolitischen Souveränität auf Brüssel und die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen. Und auch das Budgetrecht wird durch die Verschuldenskriterien des Vertrags von Maastricht und die Kontrolle durch die EU-Kommission erheblich eingeschränkt. Den nationalen Regierungen bleibt demnach nur noch die jeweilige Anpassung an die europäischen Vorgaben, und das heißt wirtschaftliche und sozialpolitische Reformen und Sparkurs. Denn alle anderen ökonomischen Stellschrauben haben sie aus der Hand gegeben. Eine solche Politik der Sanierung kann aber aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung sehr schnell zu einer Gefährdung der Mehrheitsfähigkeit einer Regierung führen – und genau diese Lage droht Nicolas Sarkozy.

Sollte Paris aber angesichts der Schwierigkeiten, die ihm der Sanierungskurs für den französischen Staatshaushalt sowie die Reformen der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarkts bereiten, den Versuch unternehmen, diesen innenpolitischen Druck in Richtung EZB und Maastrichtkriterien umzulenken, so würde dies ebenfalls zu einem sehr ernsten Konflikt mit Deutschland führen müssen. Denn keine Bundesregierung (egal wie sie sich parteipolitisch zusammensetzte) würde auch nur einen Tag weiter im Amt überleben, wenn sie an der Unabhängigkeit der EZB oder deren Regeln rütteln ließe.

Wie gesagt, die französische EU Präsidentschaft wird für die nächsten Jahre der EU definierend sein – zum Guten oder zum Schlechten. Jeder der hier genannten Interessenkonflikte im deutsch-französischen Verhältnis ist leicht vermeidbar, wenn man sich auf beiden Seiten des Rheins offen darüber austauscht und Lösungen (am besten gemeinsam) innerhalb der Strukturen der EU anstrebt.

Dann kann die EU-Präsidentschaft Frankreichs - mit ihren bereits angekündigten Initiativen - Europa sogar sehr weit nach vorne bringen.

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